Sonntag, 9. Februar 2020

Deutschland im Jahr 2019

In der Kunsthalle Rostock läuft gerade die Ausstellung "Ute Mahler und Werner Mahler. Werkschau". Ich liebe Fotografie, fotografische Ausstellungen, und vor allem Ute Mahler ist mir ein Begriff durch ihre Modefotografien für die Sibylle. Erst in der Ausstellung merke ich, wieviel mehr Bilder und Fotostrecken ich von den beiden kenne.
Nach der Wende haben die beiden mit anderen Fotograf*innen die Fotoagentur Ostkreuz gegründet. Heute sind 22 Fotograf*innen Teil der Agentur. Und diese 22 haben jede*r eine Fotostrecke zu Deutschland 2019 gemacht, die dann durch Paul Ouazan für arte in einen Fotofilm verwandelt wurden. Fotofilm war ein ganz neues Wort für mich. Ein Film, der aus stehenden Bildern, ergo Fotografien, einen Film macht. Durch reinzoomen, rauszoomen, überblenden und was es dergleichen noch für Techniken gibt. Jede*r Fotograf*in hat einen Text dazu verfasst. Von 22 Filmen werden 10 aufgeführt, 8 Fotograf*innen sind anwesend. Und so bekommen wir ein Kaleidoskop von Deutschland 2019 zu sehen. Buxtehude, Baden-Baden, Anklam, Fernfahrerkabine, Kienbaum, die Elbe, und und und. Zwei Filme hauen mich um. Der eine von Jordis Antonia Schlösser zeigt den Braunkohleabbau Garzweiler. Zeigt das halb verlassene Immerath, zeigt Neu-Immerath, spricht mit den noch verbliebenen Einwohnern im alten Dorf und den Bewohnern des neuen Dorfes, zeigt die Flüchtlingsmädchen, die im alten halbverlassenen Dorf untergebracht wurden. Streift das Thema von Verlust der Heimat. Meine Urgroßeltern hatten einen großen Bauernhof in Garzweiler. Meine Eltern hatten überlegt in Immerath zu bauen. Da betrifft mich Deutschand 2019 auf einmal persönlich.

Der Film von Jörg Brüggemann berührt mich auf ganz andere Weise. Es geht um den Harz und den Deutschen Wald. Wie sehr er durch die Nazis vereinnahmt wurde. Er zeigt, wie nahe die Idylle und das Krematorium des Arbeitslagers Mittelbau-Dora beieinander liegen. Er findet deutliche Worte, dass wir nachfolgenden Generationen zwar keine Schuld mehr am Grauen der Nazizeit haben, aber sehr wohl die Verantwortung, dass es nicht wieder passiert. Als er die noch sichtbaren Zeichen der deutsch-deutschen Grenze zeigt, prägt er den Spruch der autoagressiven Deutschen, und fragt sich, ob wir ein Volk von Ritzern sind. Das scheint so daher gesagt, und ist für mich doch stimmig. Sowohl die überzeugten Nazis als auch die zuerst verfolgten Juden waren Deutsche, und sowohl die Stasi als auch die Ossis und Wessis waren und sind Deutsche. Ich gehöre einem Volk von autoagressiven Ritzern an. Keine schöne Vorstellung.

Die 10 Filme zeigen ein so unterschiedliches, ein diverses Deutschland. Ein lebendiges, wenn auch nicht immer idyllisches oder positiv stimmendes Deutschland.



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