Tag 4 Frauengeschichte. Überall begegnet mir auf dieser
Reise Frauengeschichte. Ob ich nun aufmerksamer darauf achte oder es eben doch selbstverständlicher
geworden ist, keine Ahnung. Fakt ist, ich übernachte in einem aktiven
Zisterzienserinnen-Kloster, das aus den Ruinen des alten Klosters aufgebaut
wird. Wird! Kloster Helfta ist erkennbar noch mit alten
baufälligen Gebäuden „gesegnet“. Im Mittelalter war es eines der ganz großen
Frauenklöster Deutschlands, mit gleich drei berühmten Mystikerinnen. Gertrud von Helfta, Mechthild von Magdeburg und Gertrud von Hackeborn.
Die Texte, die von den Dreien hier ausliegen, sprechen mir aus dem Herzen.
In Wittenberg ist es Katharina von Bora, die präsent ist im
Lutherhaus. Im Assisi-Panorama Wittenberg 1517 gibt es ein Hurenhaus und eine
Predigerin/Schriftauslegerin. Beides wird gut erklärt. Das Hurenhaus als sinnvolle
und relativ geachtete Institution für die unverheirateten Männer der Stadt, und
die Predigerin als erstmalige Möglichkeit für Frauen, selbst die Schrift
öffentlich auszulegen. Luther war Feminist. In seiner ersten Kirch- und
Schulordnung hat er schon festgelegt, dass allgemeine Schulbildung für Mädchen
genauso wie für Jungen zu gelten hat. Und sein Testament hat er gegen jede
damals gültige Rechtslage abgefasst, weil er Frau Käthe nicht nur als
Alleinerbin eingesetzt hat, sondern auch darauf bestanden hat, dass sie keinen
Vormund kriegt, sondern alleine rechtsgültig handeln kann. Dafür musste sogar
sein Kurfürst einspringen, weil das sonst nicht durch gegangen wäre. Respekt.
Insofern ist die predigende Frau auf dem Panorama-Bild nur logisch. Mich freut
besonders eine Szene im Vordergrund. Zwei Männer stehen um einen Globus (noch
ohne Amerika, wenn es um fremde Länder ging, war Luther nicht so up to date);
ein Mädchen steht dort mit dabei und hört aufmerksam zu. Da geht mir Reiseweib
das Herz auf. So habe ich auch angefangen mit meiner Reiselust. Mit dem Finger
auf der Landkarte ferne Länder entdecken.
Jede Menge neue, mir unbekannte Frauengeschichte habe ich
auch gefunden in Wittenberg. Olga Gebauer, Agnes von Mansfeld, Olympia Morata,Amalie Behm, Katharina Staritz, Christine Bourbeck.
Und ein Schild zum Andenken
an den Generalstreik der Frauen in Wittenberg 1987. Lysistrata? Nein - Kunst und Fake News. ![](https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEiGlwQlMsik24xlGo_rkUNAqCFM7MtGxFUzaTyK1yj8C0e9AvFsCMfb4XA_ImYGc8vN6CAyA95C1KaYu6bYuZxDVc2qa0JBa7mEGkCW2PlUCvpxRymoNIQibJLv8FQSAfJvpkuQdqVAF8o/s320/20170630_151238.jpg)
![](https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEiGlwQlMsik24xlGo_rkUNAqCFM7MtGxFUzaTyK1yj8C0e9AvFsCMfb4XA_ImYGc8vN6CAyA95C1KaYu6bYuZxDVc2qa0JBa7mEGkCW2PlUCvpxRymoNIQibJLv8FQSAfJvpkuQdqVAF8o/s320/20170630_151238.jpg)
Es gibt nämlich auf den 100 in der Stadt hängenden Tafeln nur vier von Frauen. Diesen Streik hat es nie gegeben. Er ist Teil der Ausstellung "Luther und die Avantgarde".
Olga Gebauer war Hebamme, deren Anliegen die
berufsständische Vertretung von Hebammen war.
Agnes von Mansfeld, evangelische
Kanonissin in (Düsseldorf)-Gerresheim liebte und wurde geliebt zur Reformations-Zeit
vom katholischen Erzbischof von Köln, Gebhard Truchseß, der daraufhin zur Reformation
übertrat und sie heiratete. Was ziemliche Verwicklungen gab. Ansonsten findet sich wenig zu den Frauen der Reformatoren.
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Amalie Behm |
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Katharina Staritz |
Auch einige der Frauen des Bauhauses werden auf einmal plastisch für mich. Marianne Brandt zum Beispiel, die Lampen-Designerin. Die Bauhäusler hatten zwei Verkaufsschlager: Tapeten und Lampen. Gerade die Tapeten kann ich mir gut vorstellen. Die passten zu den dunklen Möbeln bzw. zum Gelsenkirchner Barock, was damals Mode war. Die Lampen waren ganz häufig von Marianne Brandt. Überall am Bauhaus findet man ihre Entwürfe, genauso in den Meisterhäusern. In der Dauerausstellung liegt eine ziemlich kritische Collage von ihr zum Frau-Sein am Bauhaus. Wie überhaupt in der ständigen Ausstellung die Frauen thematisiert werden. Die erste Tischlerin am Bauhaus, die Weberei mit der Werkmeisterin Gertrud Stölzl. Wunderschöne Textilien sind in der Ausstellung zu sehen. Die vielen Schülerinnen, deren Seminarunterlagen ich in der Ausstellung bewundere. Farbkarten, Dokumentation der Färbeversuche. Es erinnert mich so an meine Experimente mit Selber färben aus Pflanzen. Sowas liegt bei mir zuhause auch.
Was mich besonders freut: hier in Kloster Helfta ist ein
lebendiges Labyrinth von den Frauen der katholischen Frauengemeinschaft
Deutschlands angelegt worden. Nicht so, wie ich sie aus Gotland kenne, nur mit
Steinen markiert im Gras. Sondern bepflanzt mit Rosen, Lavendel, Frauenmantel
und vielen anderen Blumen. In der Mitte ist eine begrünte Kuppel aus Hainbuchen
zum Verweilen. Gelebte Frauengeschichte, Rückverbindung - Religio.
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