Ich sitze im Hotel Alte Canzley in Wittenberg. Eigentlich fängt
jetzt, heute, hat schon längst angefangen, meine Weltkulturerbereise. Ich merke
aber, ich muss meine Gedanken sortieren, meine Gedanken klären, meine Gedanken
leeren von dem ganzen Input aus der Fortbildung vorgestern und gestern zum
Thema Macht und Mikropolitik in Hochschulen. Außerdem schüttet es draußen. Es
ist schon meine zweite Fortbildung zu dem Thema. 2011 haben wir uns im Projekt
KarriereWege zwei Referentinnen unter dem Aspekt Frauen und Macht eingeladen,
was sich dann als Schulung in Mikropolitik entpuppte. Und sich als ziemlich
ergiebig erwies für meine eigene Entwicklung, für meinen eigenen Umgang mit
Macht. Das Problem, mit dem ich mich immer wieder konfrontiert sehe, ist die
negative Bedeutung von Macht, bzw. die völlige Überhöhung von Macht. Ich kann
mich davon nicht freisprechen. Ich bin eine Macherin. Macht kommt von machen.
Trotzdem fällt es mir schwer, mich als mächtige Frau zu begreifen. Als
kompetent ja, vielleicht sogar als einflussreich. Aber als mächtig? Mächtig
sind doch immer die anderen, die da oben.
Die meisten Leute kennen die Definition von Weber (1921): „Macht
bedeutet jede Chance innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch
gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht.“ Gruselig.
Da kriege ich sofort Hörnchen. Macht bedeutet demnach (so kommt es bei mir an)
andere zu überrennen, übertölpeln, zu dominieren, anderer Leute Meinungen und
Rechte auszuhebeln um des eigenen Vorteiles Willen. So eine Macht will ich
nicht. Punkt. Ich will Gleichberechtigung, gleiche Chancen und Möglichkeiten,
Raum für Ausloten und Ausbalancieren unterschiedlicher Wünsche, Bedürfnisse,
Ansprüche. Dafür setze ich meine Macht ein. Hier setzt nämlich mikropolitisches
Handeln ein und an. Mikropolitik bedeutet, ich nutze die Ermessensspielräume,
die Handlungsspielräume, die ich habe, um Dinge zu erreichen die mir wichtig
sind. Dass mein Kind auf meinen Wunsch/Befehl hin eine Regenjacke anzieht auf
dem Weg zur Schule und dann entscheidet es will lieber diese oder jene Jacke
oder gar den Regenschirm, ist eben genauso/mikropolitisches Handeln (und
Machtausübung), wie die Diskussion um das Abstimmungsverhalten bei der Ehe für
alle oder das Gerangel um den Abstimmungszeitpunkt oder die Möglichkeit
überhaupt zur Abstimmung. Also: mikropolitisches Handeln findet immer da statt,
wo es unterschiedliche Meinungen und Ansichten gibt, und eine Entscheidung
getroffen werden muss. Und sei es nur die Entscheidung, vorerst keine
Entscheidung zu treffen.
Jeder und jede hat eine Einflussmöglichkeit größer Null. Und
sei es nur, dass ich mich verweigere, Veränderungen herauszögere, blockiere. In
einem demokratischen Gemeinwesen, wie in Deutschland sogar deutlich größer
Null. Wie ich meinen Einfluss nutze, ob positiv für etwas, oder negativ gegen
etwas, das entscheide ich selbst. Und auch welche Taktiken ich für meine
Einflussmöglichkeit nutze, liegt an mir. Ich kann schmeicheln, kann
manipulieren, ich kann drohen (bis hin zu erpressen), ich kann bestechen oder
auch nur positive finanzielle Anreize schaffen, ich kann Allianzen bilden, mich
einer Gruppe anschließen. Alles möglich, und vieles sehr legitim. Aber eben
nicht alles.
Insgesamt gibt es neun verschiedene Grundtypen
mikropolitischer Einflusstaktiken. Männlein und Weiblein unterscheiden sich da
mal wieder statistisch in ihren bevorzugten Methoden. Männer setzen am
häufigsten offenen Druck und Einschüchtern/Ausspielen von Autorität ein, kein
Wunder, dass Macht also so einen schlechten Ruf hat. Frauen sind nur marginal
besser: Sie suchen sich Peer Kontakte, offener Druck liegt bei ihnen „nur“ auf
Platz 2. Am erfolgreichsten sind übrigens die Taktiken Rationale Überzeugung,
Inspirierende Appelle und Konsultation/Partizipation.
Insofern habe ich bei dem Seminar keine großen Erwartungen
an eine steile Lernkurve gehabt. Doch dann war es so informativ und umfassend,
dass ich beide Abende ziemlich platt war. Am Beispiel Organisation Hochschule
und Position/Rolle Gleichstellungsbeauftragte sieht das weite Feld der
Mikropolitik auf einmal sehr sehr komplex aus. Sorgfältig mit der mir
zugegebenen Macht umgehen, meine eigene Macht ethisch korrekt einsetzen, vor
Verantwortung und Entscheidungen nicht zurück schrecken, Allianzen,
mikropolitische Beziehungen über verschiedene Ebenen aufzubauen, aufrecht zu
erhalten, meine gleichstellungspolitischen Ziele verfolgen, die zugehörigen
Entscheidungsfreiräume erkennen, Praktiken der Inszenierung von Macht erkennen
und verstehen. Mein Fazit: Mikropolitik ist kleinteilig und vielfältig. Aber
eines ist sicher: Wenn ich nicht positiv Mikropolitik einsetze, wenn ich die
Macht, die ich habe, nicht einsetze für die Dinge, die mir wichtig sind, dann
frisst die Mikropolitik der anderen mich meine Schutzbefohlenen, meine Ziele.
Und dann ist auf einmal nicht mehr die Frage, ob mikropolitischen Handeln
unethisch ist, sondern es wird ganz klar. Nicht mikropolitisch zu Handeln ist
unethisch.
“Gute“ Macht ist für mich solche, die Menschen zu sinnvollen Zielen einsetzen, ohne dabei ihre eigene Person zu überhöhen. Die wesentliche Frage ist nun, was “sinnvoll“ ist.
AntwortenLöschen“Böse“ Macht benutzen nach meinen Erfahrungen Menschen, die sich über andere stellen wollen. Religiös installierte Macht gehört wohl fast immer dazu. Jesus wußte schon, warum er die Macht ablehnt.