Die Stadt Kaliningrad habe ich nur im Durchflug gesehen. Was
vielleicht auch daran lag, dass der Reiseführer immer in der Vergangenheit
schwelgte, und mir nicht das JETZT von Kaliningrad erschloss. Insofern war mir
schon in der Vorbereitung klar, Kaliningrad wird nicht viel von mir sehen, ich
will raus in die Natur. Raus in die
Natur heißt konkret: Kurische Nehrung. Russischer Nationalpark. Und Weltkulturerbe.
Ein paar Mitsegler wollten mit, also sind wir kurz nach halb
elf von der Alex zu Fuß zum Bahnhof gestartet. Zum Nordbahnhof. Mein Internet
hat nicht funktioniert in Kaliningrad, also haben wir es auf die gute alte Weise
gemacht: Leute gefragt, wie es funktioniert, und dann vor Ort weitergefragt
bzw. auf uns zukommen lassen.
Allein der Bahnhof war schon ein Erlebnis. Dort gibt es
nämlich, wie am Flughafen, einen Einlassscanner für Taschen und Menschen. Und
wenn man drin ist, kommt man nicht mehr raus. Was aber unpraktisch ist, denn
der Fahrplan hängt außen am Bahnhof. Innen werden nur die Züge der nächsten
Stunde angezeigt. Dafür ist der Fahrpreis spottbillig. Knapp 60 Rubel, nicht
mal ein Euro für eine halbe, dreiviertel Stunde Zug fahren. Und immer Moskauer Zeit im Zug, egal wo in Russland man sich befindet.
Zelenogradsk (Granz
auf deutsch) ist der Seekurort an der Wurzel der Kurischen Nehrung. Dorthin war das erste Ziel.
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Einlasskontrollen wie am Flughafen. |
Moskauer Zeit im Zug.
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Gar nicht so einfach Ein- und Auszusteigen. Bei der steilen Treppe kommt der Handgriff sehr zupass. |
Insgesamt hatten sich mir sechs Leute angeschlossen. Meine
Überlegung war ja in Zelenogradsk einen Guide zu finden, aber ohne Internet war
das ein bisschen schwierig. Ich war dann soweit, dass ich dachte, ich miete ein
Taxi, das mich dann rumfährt. Aber – wir waren ja nun zu siebt. Also zwei
Taxis. Jedoch – das Glück ist mit den Abenteuerlustigen. Am Taxistand stand
tatsächlich ein Großraumtaxi. Und das stand auch noch da, nachdem wir lecker
Dönerwraps essen waren.
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Russische Frauen in meinem Alter und älter verkaufen aus ihrem Garten. |
Nun erkläre mal wo du hinwillst, und handle einen Preis aus,
ohne die Sprache des Anderen zu verstehen. Und auch nicht eine gemeinsame
Sprache zu finden. Der Fahrer hatte einen laminierten Plan der Nehrung,
allerdings auf Russisch, doch anhand der Abstände der Orte konnte ich erkennen,
wo ich hintippen musste. Beim Preis: ein LOB auf die arabischen Zahlen.
Russland hat zwar kyrillische Buchstaben, aber arabische Ziffern. In den
Taschenrechner getippt oder auf einen Zettel geschrieben wissen beide Seite,
was sie meinen.
Und dann sind wir zum tanzenden Wald gefahren. Den wollte
ich auf jeden jeden Fall sehen. 1945 sind alle Bäume noch normal gewachsen,
dann kam das Militär, und als 1992 die Nehrung wieder zugänglich war, hatten
auf 300 x 300 m die meisten Kiefern einen ganz seltsamen Drehwuchs. Die Einheimischen
nennen das Waldstück auch den betrunkenen Wald. Doch die Bezeichnung Tanzender
Wald finde ich viel schöner. Ich stelle mir vor, wie die Bäume in
Vollmondnächten Ausdruckstänze vollführen, vielleicht Eurythmie aufführen,
modernes Ballett oder Biodanza, wer weiß das schon. Und dann kommt der
Gongschlag, von ferne eine Kirchturmuhr, und alle erstarren in ihrer Tanzpose.
Wir sind dann noch zu Müllers Höhe gefahren. Denn das die
Nehrung so aussieht wie sie aussieht, ist Menschenwerk. Als sich die Nehrung nach
der Eiszeit langsam bildete, kamen irgendwann vor 4000 Jahren auch die ersten
Baumsamen und haben den Sand festgehalten. Doch die mittelalterliche
Kolonisation durch die Ordensritter ließ den Wald schrumpfen, und der Nordische
Krieg brauchte Segelschiffe en masse, das hat dem Wald den Rest gegeben. Ohne
Bewuchs war der Sand nicht mehr zu halten und bildete Wanderdünen, die bis zu 3
m pro Jahr zurücklegen konnten. In den Annalen sind mehrere Dörfer als
aufgegeben erklärt, sowie sind Beispiele zu finden, wie das neue Dorf nach
11-12 Jahren auch wieder verschüttet wurde. Im 19. Jahrhundert versuchten die Menschen
die Wanderdünen zu stoppen, mit wechselndem Erfolg und immensen Kosten. Erst
Frank Ephta, der damalige Dünenmeister, hatte dann im 19. Jahrhundert den Dreh raus. Pflanzlöcher mit
Geschiebemergel füllen, Kiefer einpflanzen, das ganze drumherum mit Matten
abdecken. Der Aussichtspunkt ist auf einer der ersten von ihm befriedeten
Dünen, mit einem obercoolen Blick über Ostsee und Haff.
Der Taxifahrer hatte die ganze Zeit russiche Rock- und
Popmusik laufen. Es irritiert ganz schön, wenn man auf einmal „Cherry Cherry Lady“
auf russisch hört. Du erkennst die Melodie und den Song, aber du verstehst gaar
nichts.
Erst auf der Rückfahrt sehe ich das Schild mit dem
Unesco-Symbol. Ich habe wieder einen Welterbepunkt! Die kurische Nehrung lohnt
wirklich einen Besuch.
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