Sonntag, 15. August 2021

Rituale, Rituale, Rituale

Eine Schamanenreise nach Sibirien bringt natürlich auch die Teilnahme an Ritualen mit sich. Das Tengeri Schamanenzentrum ist Ausbildungsstätte und Wirkungsstätte zahlreicher Schaman*innen.



Wir dürfen an einer Einweihungszeremonie einer Schamanin teilnehmen, werden aber gebeten, die Zeremonie selbst nicht zu fotografieren. 


Mich fasziniert die klare Struktur bei gleichzeitiger hochgradiger Komplexität des Rituals. Vorbereitung in mehreren Stufen, Durchführung in mehreren Durchgängen, Beenden in mehreren Handlungen, Auflösung des Rituals in Gelächter und Spaß. 


Vorbereitung all der dinglichen Sachen, die gebraucht werden. Einbindung vieler anderer in die Vorbereitungen. Wir bekommen erzählt von dem Ritual, mit dem die Männer in die Taiga geschickt werden, um gute Birken zu schlagen. 



Ausgeschälte Birken, nicht geschlagen werden für den Vater- und Mutterbaum, sowie den Selna-Baum benötigt.




Wir helfen dabei, die Birken zu schmücken. 



Mit einem roten Faden werden alle Ritualräume verbunden, die Birken und die Jurte mit den Altären.




Vor Beginn der eigentlichen Zeremonie stellt die Schamanin Weihwasser her. Wir müssen uns alle in eine Reihe stellen, mit dem Rücken zur Reinigungszeremonie. Damit wir den Dreck der anderen beim hinsehen nicht aus Versehen aufnehmen. 


Zu Beginn der eigentlichen Zeremonie werden Menschen gebeten, als Vater, als Mutter, für die 11 Kinder als Stellvertreter zu stehen. In einer Zeremonie werden Vater und Mutter mit Hilfe blauer Khadaks verbunden und dürfen sich bis zum Ende des Rituals nicht trennen. Gleiches gilt für die 11 Kinder. Gerade das ist unter Corona-Bedingungen nicht denkbar, so werden nur ein Mädchen und ein Junge miteinander verbunden und die restlichen neun Kinder als Metallfiguren belebt und den beiden um den Hals gehängt. 



Es sind unzählige Details, die beachtet werden.


Zwei Tage geht das eigentliche Ritual der Einweihung, mit zig Trancen der Schamanin, fast die ganze Nacht hindurch. In jeder Trance spricht ein anderer Ahnengeist, ein anderer Ongon aus ihr. Wir können den Ongonen Fragen stellen, die uns beschäftigen, Wünsche mitteilen. Ich spüre die Kraft dieser Ahnengeister, die Antworten sind teilweise sehr präzise. Ich wünsche mir nur einen Segen, der mir auch durch kräftiges Klopfen mit dem bebänderten Schamanenstab erteilt wird.




Zum Ende werden nochmals verschiedene Rituale durchgeführt. Bereits beim Verbinden der Stellvertreter*innen wurde eine bestimmte Zeremonie durchgeführt, ein kleines Orakel, ob diese Personen die richtigen für die Aufgaben sind. Zum Abschluss die gleiche Frage nochmal. Jede*r wirft eine Schale mit Flüssigkeit in hohem Bogen, und je nachdem, wie die fällt, ist es angenommen oder es muss nochmal geworfen werden.


Zu fünft werden wir von den Nachbarn gefragt, ob wir in deren Schlusszeremonie, wenn alle Birken abgeräumt werden, den Raum halten. In einer geraden Linie ausgerichtet, den Kopf mit einem Tuch bedeckt, halten wir jede eine Schale. Der Reihe nach mit Chai (Tee mit Milch), mit  gekrümelten Keksen mit Butter, mit Wodka, mit gekochtem Hammel und Butter, mit Milch. Aus einem Birkenzweig haben wir eine Öse gebunden, damit tunken wir immer ein und sprühen, sprinkeln, werfen wir klitzekleine Mengen im hohen Bogen. Und visualisieren ein gutes Gelingen des Rituals, ca. 30 Minuten lang. Zum Abschluss stellt sich der Helfer-Schamane mit in die Reihe, stimmt ein Lied an, und auf ein bestimmtes Signal hin werfen wir die Schalen mit dem Inhalt in hohem Bogen. Schale nach oben oder auf der Seite gilt als angenommen, sonst muss nochmal geworfen werden. Als alle Schalen mit der Öffnung nach oben liegen, gehen wir gemeinsam dorthin und jede geht einmal im Uhrzeigersinn um ihre Schale. 


Wie wir uns überhaupt während des gesamten Rituals immer im Uhrzeigersinn um die Birken und in der Jurte bewegt haben.




Zuguterletzt wird alles verbrannt, die Birken, der geschlachtete Hammel, alles wird aufgeräumt. Das ganz große Dankbarkeitsritual kommt zum Schluss. Bereits während der großen Zeremonie gab es immer wieder Augenblicke, in denen Fruchtbarkeit und Wohlstand durch die Ongonen gegeben wurde. Augenblicke, in denen wir Frauen wie Sterntaler unsere Röcke zu Schalen gehoben haben, und die Männer sich die Hemden am Hals aufgehalten haben. Doch im diesem Ritualteil hat jede*r eine Süßigkeit oder einen Keks in den beiden zu einer Schale geöffneten Händen. Der leitende Schamane betet zu Mutter Erde und Vater Himmel, zu den vier Himmelsrichtungen, wozu wir gegen Ende jedes einzelnen Gebetes eine bestimmte Handbewegung machen. Und ganz zum Schluss dürfen und sollen wir den Keks, die Süßigkeit, essen. Auch hier geht es nochmal um das wünschen. 


Doch noch ist die Feier nicht zuende.


Zum Auflösen der Energie des Rituals bilden alle einen großen Sitzkreis. In einer Email-Schüssel ist eine lange Schlange abgebundene gekochte Wurst. Mit viel Faxen und hin und her ziehen muss versucht werden, ein Stück abzubeissen. Doch richtig übel ist die nächste Schüssel. In ihr befindet sich vergorene Milch. Wer schnell genug ist, tunkt die Zunge ein, und ist damit erlöst. Wer zu langsam ist, der landet, platsch, mit dem ganzen Gesicht in der übel riechenden Pampe.

Unter Gelächter und foppen kommen wir so gemeinsam wieder in der Gegenwart  im hier und jetzt an.


Das "omni padme hum", was wir zwei Tage lang immer und immer wieder gesungen haben, begleitet mich als Ohrwurm noch die nächsten Tage.


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