Montag, 27. Mai 2019

Tag der Nachbarschaft

Über meine diversen Newsletter flattert mir die Werbung für den bundesweiten Tag der Nachbarschaft in die Mailbox. Ich leite die Informationen an meine Transition Town Gruppe weiter, gleich mit der Info, dass ich bei mir in der Brunnenaue Tischtennis chinesisch spielen will. Seit ich eingezogen bin, will ich an der Tischtennisplatte im Park mit vielen Leuten spielen. Das ist sechs Jahre her und ich habe noch keinmal richtig viel dort gespielt. Dabei guckt mein Schlafzimmer genau auf diesen Teil des Parks. Insofern ist dieser Nachbarschaftstag meine Chance.

Auch weil ich mit zwei meiner Nachbarinnen aus der Hausnummer 8 und 9 seit zwei Jahren ein Nachbarschaftsfest plane und wir keinen gemeinsamen Termin finden. Insofern kommt mir diese bundesweite Aktion wie gerufen. Ich melde uns sogar auf der Internetseite an.
Dann verschicke ich noch ein paar Whatsapp und hänge einen Aushang in den Hausflur. Die Tagesmutter von unten kennt noch jemand im Nachbarhaus und hängt da auch einen Zettel auf.


Freitag Nachmittag 16 Uhr. Ich setze mich auf's Mäuerchen im Park. Kind 2 hat die Tischtennisschläger rausgesucht, eine Freundin von mir aus der Transition Town hat mir beim Nudelsalat zubereiten geholfen.  Kaffee kochen, Geschirr und Besteck in den Korb einpacken. Wir pusten die Luftballons auf, breiten die Picknickdecke aus. Fertig ist die Vorbereitung.

Stück um Stück trudeln die Leute ein. Knapp 15 Leute sind wir zum Schluss. Und schnacken, futtern Nudelsalat, trinken Kaffee. Die eine Nachbarin holt noch ihr selbstgemachtes Met raus, die andere holt den Katalog mit ihrem Traumfahrrad runter. Eine gute Bekannte lernt endlich die Organisatoren vom Gemeinschaftsgarten kennen. Dann kommt noch eine frühere Nachbarin vorbei. Adressen werden ausgetauscht, Termine verabredet. Endlich mal sind wir es selbst, die Krach im Park machen, nicht immer die anderen.

So ein Nachbarschaftsfest machen wir wieder. Es war sowas von unkompliziert und wenig Aufwand.

Sonntag, 26. Mai 2019

Halsschmerzen

Ich bin keine gute Kranke. Als ich Dienstag Halsschmerzen bekam, habe ich sie ignoriert. Der Hals tat zwar weh, aber mit einem Abgabetermin für einen grossen Antrag am Freitag hatte ich so  gar keine Zeit dafür. Immerhin habe ich abends meinen Sport abgesagt, denn ich war - ehrlich gesagt - schon ganz schön k.o. Mittwoch habe ich bis mittags durchgehalten, das Nötigste und Dringendste erledigt, Aufgaben und Verantwortung verteilt. Und mal war mir warm, mal war mir kalt ... Schüttelfrost ist ein schönes Wort, nur kein schöner Zustand.
Donnerstag bin ich dann zähneknirschend zum Arzt gegangen. Der mir freundlich lächelnd erzählt, das mein Husten eine Bronchitis ist. Virusinfektion. Ich könne nix machen ausser Symptombekämpfung und Bettruhe. Ersteres ja, zweiteres zum Teil. Ich ruhe im Bett mit aufgeklapptem Laptop. Telefonieren erweist sich als schwierig, die Stimme geht über Whiskey zu Reibeisen, unterbrochen durch bellenden Husten. Also nur schreiben. Bis mich das Fieber dann endgültig ausknockt.
Heute Abendgeht es langsam besser. Der Husten bellt lockerer, die Nase läuft nur noch ab und an.

Symptome bekämpfen. Ein Lob an die heimatliche Kräuterwelt (meistens): Salbeitee mit Honig, Dampfbad mit Kamille, Schwarzer Rettich mit Zucker, Eukalyptussalbe zum Einreiben. Vitamin C und Ascorbinsäure nehme ich dann doch lieber als Aspirin plus zu mir statt Weidenrindentee.
Und so werde ich langsam Stück für Stück wieder gesund. Ein paar Tage wird es noch dauern.

Schwarzer Rettich mit Zucker
Salbei, Kamille, Honig, Eukalyptussalbe 

Mittwoch, 22. Mai 2019

Crossover beim Bolschoi

Crossover heißt für mich, das verschiedene (Musik)Genre-Grenzen überschritten werden. Nicht ein gruseliger Mischmasch, sondern ein kreatives Zusammenführen verschiedener Stile.
Crossover heißt für mich auch, wenn Klassik und Pop zusammentreffen, auch im Tanz. Ich mag Ballett, ich mag Modern, ich mag Breakdance, einmal querbeet alle Tanzstile. Ich höre alle möglichen Musikstile, ich mag alle möglichen Arten von Tanz.
Nun also Crossover im Bolschoi-Ballett.
Das Bolschoi-Ballett ist für mich eine der klassischsten Ballett-Kompagnien der Welt. Sie führen immer noch Stücke nach der Orginalchoreographie von Marius Petipa von 1877 auf. Mit den restaurierten Orginalkostümen, weil die noch im Fundus hängen. Obercool. Und supertraditionell. Insofern ist die Tatsache, dass sie ein Ballett originalgetreu aufführen, dessen Premiere 1967 war, schon fast futuristisch. Spannend finde ich, wie sehr sich die (Ballett)Körpersprache in diesen knapp 100 Jahren verändert hat. Die Primaballerina, und auch die beiden Ballerinos (heißen männliche Balletttänzer wirklich so? Ich habe mir das ausgedacht in Analogie zu Ballerina. Die Tücken der gendergerechten Sprache), die Balletttänzer*innen jedenfalls zeigen Bewegungen, die zum Geist der 68er Zeit passen. Dabei ist die Musik von 1875.
Denn das bedeutet in dem konkreten Fall Crossover: das Bolschoi-Ballett tanzt eine Oper. Carmen von Bizet. Mit zusätzlichen Kompositionen bzw. Variationen des Carmen-Themas von Rodion Shchedrin. Choreografiert 1967 von Alberto Alonso für die Primaballerina Maya Plisetskaya wird eine leicht veränderte, von ihm autorisierte auf die jetzige Primaballerina Svetlana Zakharova zugeschnittene Fassung gezeigt.
Carmen komprimiert, kompromisslos gekürzt. Eine Frau, zwei Männer, das Schicksal. Intensiv und berührend.
Dagegen fällt das zweite Stück an diesem Kino-Ballett-Abend deutlich ab. Petrushka ist zwar virtuos getanzt, tolle Kostüme und ein anspielungsreiches Matruschka-Bühnenbild. Aber es komnt nicht an gegen die Intensität der Carmen-Aufführung.

Montag, 20. Mai 2019

Cantate

Als Christin bin ich zweisprachig, ich kann sowohl katholischen als auch evangelischen Gottesdienst. Ich kann sogar diverse evangelische Gottesdienst-Dialekte, da evangelische Gemeinden weitaus freier in der Wahl sind, welche Variationen des Segens, des Kyrie, der Antworten etc. sie wählen wollen für die alltägliche Sonntagspraxis.
Katholisch sozialisiert sitzen die katholischen Einsätze immer noch, auch wenn ich seit fast 30 Jahren überwiegend evangelische Gottesdienste besuche. In ihrer Botschaft und Ausgestaltung sagen mir evangelische Gottesdienste einfach mehr zu. Zwischen "der Herr sei mit euch" und "der Herr segne dich und behüte dich; der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig; der Herr hebe sein Angesicht über dich und gebe dir Frieden" liegen für mich Welten.

Heute also Cantate. Eigentlich wollten wir zum (evangelischen) Gottesdienst mit Chor um 10 Uhr. Angekommen in Altefähr stellt sich heraus, der Gottesdienst beginnt erst um 10.45 Uhr und der Chor ist erst in vier Wochen im Gottesdienst. Wir bleiben trotzdem und ich bin beglückt. Cantare. Singet. Wir, die Gemeinde dürfen singen, singen, singen. Lauter Freuden- und Jubellieder, Wechselgesänge mit der Pastorin. Ein einziges Mal muss ich passen, da kenne ich den Text nicht. Ansonsten kein Problem.

In der Leseordnung der Norddeutschen Evangelischen Kirche ist heute als Epistel der Brief des Paulus an die Kolosser 3,12-17. Im letzten Jahr sind die Texte neu ausgewählt worden, mehr Altes Testament und mehr Texte, in denen Frauen vorkommen. Ist beides heute am Sonntag Cantate nicht der Fall.

Was mich in dem heutigen Bibeltext so berührt: der Aufruf, einander herzliches Erbarmen zu zeigen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld. So alt ist diese Aufforderung, und so nötig heute noch. "Über alles aber zieht an die Liebe, die da ist das Band der Vollkommenheit". Das könnte aus den meisten der heutigen Texte von nichtchristlichen Spiritualitäten sein. Und ist doch bloß von dem ollen Paulus! Die spirituelle Tradition der christlichen Kirchen ist so gebrochen, zerbrochen, durch die Vergangenheit, Geschichte und Gegenwart, die wir, die ich mit ihnen erlebt habe. Dabei ist die Botschaft an sich segensreich und zukunftsgewandt.

Wir singen eines meiner Lieblingslieder:
🎶ich sing dir mein Lied, ich tanz für das Leben, ich übe mich täglich, die Liebe zu leben. Vertrauen und Demut und Achtsamkeit finden, du Quelle des Lebens, deine Wahrheit zu künden 🎶

Kirche Altefähr

Kirchenkaffee nach dem Gottesdienst

Sonntag, 19. Mai 2019

Judenverfolgung via Einkommenssteuer

Einmal im Monat ist bei uns an der Hochschule Studium Generale. Diesmal eine Professorin aus Berlin mit Schwerpunkt Steuerrecht, Regine Buchheim.



Sie stellt ihre Forschungen zur Rolle des Reichsfinanzhofes bei der Enteignung jüdischer Deutscher im dritten Reich vor. Ich freue mich, das sie konsequent nicht von Juden spricht, sondern von jüdischen Deutschen. Denn genau darum geht es. Deutsche jüdischen Glaubens, denen die Richter des Vorläufers des Bundesfinanzhofs durch entsprechende Auslegung der Steuergesetze den finanziellen Tod bringen. Fiskalische Diskriminierung bis zur Enteignung. Gesetze, die bis heute gültig sind, die nur durch ein bis zwei zusätzliche Gesetze bzw. Gesetzestexte ergänzt ihre tödliche Wirkung entfalten. Ich bin beeindruckt von ihr, wie differenziert und klar sie die Gesetze, die gesetzliche Lage und die Möglichkeiten der damaligen Zeit auseinander hält.

Meistens redet sie über das Einkommenssteuergesetz. Das Einkommenssteuergesetz von damals, das bis heute gilt, weil es handwerklich sauber gemacht und gut durchdacht ist. Weil es, soweit es geht, gerecht und sinnvoll ist. Die Paragraphen von damals sind die gleichen Nummern wie heute. Und dann gibt es zwei andere Gesetze. Reichsfluchtsteuer hieß das eine damals. Das gibt es inhaltlich so ähnlich  heute auch noch. Du darfst nicht einfach deinen Wohnsitz ins Ausland verlagern, dein Geld, dass du in Deutschland verdient hast, mit Wohnsitz in Deutschland, nicht unversteuert ins Ausland mitnehmen. So weit so gut. Knackpunkt sind die Einkommensgrenzen. Und die wurden im Verlauf des Dritten Reiches soweit runtergesetzt, dass auch mittlere Einkommen betroffen waren, nicht mehr wie vorher und nachher wirklich Reiche. Statt Kapitalfluchtsteuer Personenfluchtsteuer. Was so ein kleiner Zusatz ausmacht. Und sie zeigt es in ihrem Vortrag  (und beschreibt es im zugehörigen Artikel) präzise. Anhand der Gerichtsurteile des Reichsfinanzhofes. Das macht es so plastisch. Und so bedrückend. Es lässt den damaligen Zynismus der urteilenden Richter glasklar erkennen.

Das andere Gesetz, über das sie spricht, ist das Steueranpassungsgesetz. Und auch hier ist der damalige Zynismus glasklar zu erkennen. Sie zeigt es am Beispiel der Gemeinnützigkeit. Wenn jüdischen Schulen, Kindergärten, Altenheimen etc. die Gemeinnützigkeit aberkannt und sie die letzten vier bis fünf Jahre Steuer nachzahlen sollen, sind sie pleite. Und ich als Finanzbeamter habe nichts Unrechtes getan, denn das Steueranpassungsgesetz von 1934 deckt mich ja. In Paragraf 1 steht "Die Steuergesetze sind nach nationalsozialistischer Weltanschauung auszulegen." Halleluja, was ein Freibrief. Und dann wird heute überlegt, nach welchen Kriterien Attack und Campact (und Greenpeace und wie sie alle heißen, die sich für etwas politisch nicht opportunes einsetzen) gemeinnützig sind ...
Bis auf diesen ersten Paragraphen ist das Gesetz unter dem Namen Abgabenordnung nämlich noch da.

Immer wieder betont sie, dass vor den Deportationen der finanzielle Steuertod längst eingetreten war. Sie führt weitere konkrete Fälle an, eben weil sie selbst Steuerjuristin ist und die Prozessakten wirklich versteht. Ich kann nur empfehlen ihren Artikel in Gänze zu lesen:
Regine Buchheim (2018), Die antisemitische Rechtssprechung des Reichsfinanzhofes - eine Analyse der Prozessakten aus der NS-Zeit. In: Steuer und Wirtschaft  - Zeitschrift für die gesamten Steuerwissenschaften, S. 366-383, 2018.

Und zum zusätzlichen Verständnis: Christine Feltes (2018), Zur Rechtssprechung des Reichsfinanzhofs in der NS-Zeit - Ende eines Tabus? Anlässlich des 100-jährigen Jahrestags des RFH/BFH. ebd. 359-365.

Mich bewegt nach diesem Vortrag zweierlei: wie man als Richter in dem Sinne belastet sein kann, weil man sich zwar an die Gesetze hält, sie aber rassistisch, restriktiv und menschenfeindlich auslegt UND dass rein (steuer)rechtlich relativ schnell wieder bestimmte Ausgrenzungskriterieren gegen politisch missliebige Gruppen eingeführt werden könnten.


Samstag, 18. Mai 2019

Der Besuch der alten Dame

Der Besuch der alten Dame
Nass geschwitzt komme ich aus dem Theater. Der Besuch der alten Dame von Friedrich Dürrenmatt als Ballett adaptiert. Als Schauspiel hätte ich es vielleicht gar nicht ertragen, auch so nimmt es mich mit.


Im Gegensatz zum Buch ist hier keine Freiwilligkeit im Geschlechtsakt zwischen Claire und ill. Die Vergewaltigung ist die zugrunde liegende böse Tat. Mit den daraus resultierenden bekannten Folgen. Im Buch ist die böse Tat die Vertreibung der unehelich Schwangeren Claire durch Pfarrer, Honoratioren und den zugehörigen Frauen. Der Täter geht straffrei aus. #me too in Reinkultur. Ich hatte echt vergessen, wie das war, welche Ohnmacht die betroffene Frau hatte. Von heute aus gesehen, reicht die Nichtanerkennung der Vaterschaft nicht mehr für die Konsistenz der Geschichte, für den Hass, der in Claire Zanachiassian tobt. Doch bei einer Vergewaltigung sieht es anders aus, das bedeutet meist immer noch lebenslang Folgen für das Opfer. Nicht jede ist Nelson Mandela und kann verzeihen. Claire Zanachiassian kann das nicht.

Das Geld die Moral untergräbt -  geschenkt. Das ist ein alter Hut, der wirklich gut dargestellt ist. Der nuanciert in grell goldgelben Kleidern, die immer mehr zunehmen, ausgedrückt wird. Es ist bildgewaltig, wie das grauschwarze 50iger Jahre Dorf Stück um Stück in goldgelbe 60iger Jahre umsteigt.

Doch was mich wirklich fertig macht, ist die Zielstrebigkeit und Unversöhnlichkeit, mit der Claire Zanachiassian ihren Racheplan umsetzt. Zumal der Tod von ill über ihre persönliche Befriedigung hinaus sinnlos ist. Weder verhindert er ähnliche Fälle noch unterstützt er Opfer solcher Vorgänge. Auch in der Dorfgemeinschaft ändert sich ja nichts. Sie waren, sind und bleiben menschenverachtend, unliebend/lieblos. Sachwerte und Eigennutz sind ihnen heute wie damals wichtiger als reale Menschen in Not. (Da weiß ich wieder, warum ich Schauspiel genau wie die meiste Ratgeberliteratur so hasse: sie beschreiben schmerzhaft die Ist-Realität und zeigen keinen Ausweg. Sie sind halt immer nur ein erster Schritt zur Erkenntnis).

Als Musik hat Ralf Dörnen Auszüge aus  Symphonien und anderen Kompositionen von Karl Amadeus Hartmann (1905-1963) ausgewählt. Ich hätte schwören können, dass er eine Komposition in Auftrag gegeben hat, so stimmig sind Musik und Ballett. Erst mit der Schlussszene, die kollektive Tötung von ill zum Choral von Bach "O Mensch, bewein dein Sünde groß" erkenne ich, dass Dörnen auf vorhandene Musik zurück gegriffen hat.

Ja, ill hat sich schuldig gemacht, ja, er hat Strafe verdient. Doch nein, sein Tod sühnt gar nichts. Im Gegenteil, er macht es schlimmer. Dürrenmatt wusste noch nichts von transgenerationaler Vererbung, wusste nicht, was es mit den Menschen einer Dorfgemeinschaft macht, gemeinschaftlich einen Menschen zu töten. Er ahnte es vielleicht, aber es ist nicht Thema seines Stücks.
Und so schaue ich in der Schlussszene des Stücks auf eine glitzerschwarze Claire Zanachiassian, die auf einem überdimensionalen Goldbarren sitzt, der gleichzeitig ein Grab ist. Und sie sieht nicht aus, als habe sie Frieden gefunden. Sie hat Rache gesucht und Rache gefunden. Und die Schuld, die jeder und jede einzelne in dieser Dorfgemeinschaft hatte, erhöht. Kein Wunder, dass ich so fertig bin nach der Aufführung.


Donnerstag, 16. Mai 2019

The Favourite

The Favourite - Die Favoritin. Da laufen in meinem Kopf gleich zig Filme ab, vorzugsweise Richtung Mätresse, Madame Pompadour, zwei Frauen buhlen um die (erotische und politische) Macht bei einem König, hier Ludwig XIV. Dazu Bilder von pompösen Schlössern, Kutschen, Damen in großen, historischen Kostümen. Alles richtig und zugleich so falsch. Ja, zwei Frauen in wirklich tollen historischen Kostümen buhlen um die geliehene Macht. Nur ist der König eine Königin, Queen Anne. Der Film spielt im England des beginnenden 18. Jahrhunderts, und die Bilder erinnern immer wieder an Gemälde, Stilleben der Zeit. Und vermitteln gleichzeitig ein klaustrophobisches Bild der Räume, Gänge und Gemächer (die Kameraführung ist der Hammer! Fischaugenaufnahmen in diesem historischen Ambiente). Selbst das große Zimmer der Königin ist zugeknallt mit Möbeln, Gemälden, Vorhängen. Beeindruckend die Nachtaufnahmen mit den ganzen Kerzen (und Kerzen waren höllisch teuer zu der Zeit, es ist der Wahnsinn, wieviele in dem Film brennen, und es wird nicht wirklich hell im Raum), auf jeden Fall lassen mich die ganzen Kerzen zusammen zucken, ich befürchte ständig den Ausbruch eines Feuers.

Die Geschichte ist so klassisch wie ungewöhnlich. Zwei Frauen liefern sich einen Machtkampf um die Gunst, also klassisch. Nur ist es eine Königin, eine Frau, um deren Gunst sie kämpfen, wie ungewöhnlich. Es ist ein wahres Vergnügen, den beiden Protagonistinnen zuzugucken, Rachel Weisz als Sarah Churchill, Lady Marlborough, die etablierte Favouritin, Freundin der Königin seit Kindertagen, Emma Stone als Abigail Hill, später verheiratete Masham, die junge Cousine, die neu an den Hof kommt. Und gleichzeitig ist es gänsehauterzeugend, wie beide sich in den Machtkampf verstricken, wie beide grausam agieren aus Notwendigkeit. Denn die wahre Macht geht von der Königin aus.

Sowohl Rachel Weisz als auch Emma Stone sind Oskar-Preisträgerinnen, waren dieses Jahr in ihren Rollen in The Favourite jeweils für die beste Nebenrolle nominiert. Doch gewonnen, und das verdient, hat ihn Olivia Colman in ihrer Rolle als Queen Anne. Olivia wer? Ich kann mich nicht erinnern, je einen Film mit ihr gesehen zu haben. Aber auch auf der Oskar-Verleihung habe ich sie nicht in ihrer Rolle erkannt. Vielleicht, weil sie da nicht so pottenhässlich rüberkommt. Die Favoritinnen sind in fast jeder Szene geschniegelt und gestriegelt, mit obercoolen Kostümen unterwegs, doch die Königin schlurft hässlich, schlecht gekleidet, oft depressiv und meistens im Nachthemd durch ihre Gemächer. Doch sie hat die Macht inne, und in entscheidenden Augenblicken besinnt sie sich darauf.

So echt, wie das Interieur gestaltet wirkt, so zeitecht wirkt die meiste Musik. Händel, Bach, Purcell, ich erkenne die höfischen Gassenhauer der damaligen Barock-Zeit. Doch einige der dramatischsten Szenen sind begleitet von moderner klassischer Musik, die in ihrem typischen, fast schon experimentellen Charakter genau wie die moderne, unerwartete Kameraführung dem Film Tiefe verleiht. Den Machtkampf der beiden Favoritinnen mit den darauf folgenden Charakterdeformierungen schmerzhaft intensiviert. Ich kann mich mit keiner der drei Frauen identifizieren. Jede ist für sich ein Monolith, mit Facetten und Ausdifferenzierungen, die mich schmerzen. Auch schmerzhaft schön: die Liebesgeschichte zwischen Queen Anne und Lady Marlborough. Wie keine aus ihrer Haut kann, trotz der engen Freundschaft miteinander. Ganz übel: die meisten Männerrollen. Egal welches Geschlecht, wenn keine reale Macht möglich ist, wendet man sich absurdem und "verspieltem" Zeitvertreib zu. Und ebenfalls schräg: das britische Parliament um 1700 zu sehen, mit seinen Torys und Whigs, in dem rechteckigen Raum mit den Bänken. Damals war das funkelnagelneu und noch Platz zwischen den Leuten.

Also: der Film ist unbedingt sehenswert. Nicht nur weil er historisch echt ist und viel Ambiente der damaligen Zeit vermittelt, sondern auch, weil er Deformation durch geliehene Macht bzw. durch Abhängigkeit zeigt, und das außerhalb jedweder Geschlechtergrenzen.
Die Geschichte ist authentisch, weil historisch korrekt. Und sie ist authentisch, weil grandios verfilmt. Gute Geschichte, gutes Drehbuch, richtig guter Regisseur, klasse Soundtrack, super Kostüme.
Der ganze Film ist ganz großes Kino.

Mittwoch, 15. Mai 2019

Tag des zugeteilen Films

Sonntags 17 Uhr und montags 20.15 Uhr ist im Stralsunder Cinestar-Kino Tag des zugeteilten Films. Das heißt in Wirklichkeit natürlich anders, Tag des besonderen Films. Wir bekommen die Nicht-Blockbuster, die eher anspruchsvollen oder komplizierten Filme nur an diesem Termin in der Stadt zu sehen. Die Werbung dafür ist gleich Null, sprich am Donnerstag erfährt man mit Veröffentlichung des Kinoprogramms, was Sonntag/Montag läuft. Ein kleiner Trick ist es, in Greifswald ins Programm zu gucken, dort laufen die Filme eine Woche vorher. Das verrät mir, dass es im Hintergrund sehr wohl eine langfristige Planung geben muss, welche Filme wann uns zugeteilt werden. Und verstehe noch weniger, warum nicht wenigstens auf der Website vier Wochen im voraus die Filme angekündigt werden. Das tut doch nicht weh, und ich könnte es besser eintakten. Und viele andere sicher auch. So sind wir mit 10-20 Personen im Kino. Das lässt sich mit vernünftiger, rechtzeitiger und vorausschauender Ankündigung sicherlich verdoppeln.

So fühlt es sich im Moment an, als würde uns das Kino gönnerhaft den besonderen Film zugestehen. Aber es teilt uns lieblos irgendwas zu. Meine Phantasie ist, weil sie selbst das im Prinzip doof finden, solche Filme zu zeigen, solche Intellektuelle im Hause zu haben.
Dabei - das sind oft Oskar-gekrönte Filme, ganz großes Kino. Nur weiß halt keiner, dass die laufen.

Sonntag, 12. Mai 2019

Hamlet

Ich kann dem Stück Hamlet nichts abgewinnen. Es erschließt sich mir inhaltlich nicht. Ok, der alte König ist tot. Es ist nicht klar, ob es ein Unfall ist oder Mord. Es ist nicht erkennbar, ob es dann Brudermord oder Gattenmord ist. Ebenso wenig erkennbar ist, ob es vor dem Tod des alten Königs schon eine sexuelle Beziehung, ein Verhältnis oder was auch immer zwischen der Königin und dem neuen König gab. Fakt ist: der König ist tot, es lebe der neue König. Und darüber wird Sohnemann Hamlet verrückt. Hä? Verstehe ich nicht. Wenn Hamlet nach Macht streben würde, selbst König werden wollte, wenn er ein klares Ziel im Sinne von Aufdeckung ob Mord und Betrug hätte, dann könnte ich es nachvollziehen. Aber das erkenne ich nicht im Stück. Hamlet jault rum und nichts passiert, ausser das zum Schluss alle tot sind. Seine Beweggründe bleiben für mich im Dunkeln. Zu beschließen, sich wahnsinnig zu stellen, um die Wahrheit aufzudecken? Wie bescheuert ist das denn? Als Prinz von Dänemark sollte er doch wenigstens ein bisschen macchiavellischen Unterricht gehabt haben.

In mir findet die Geschichte keine Resonanz. Bis ich jetzt endlich eine Erklärung gefunden habe, eine Struktur, ein Muster sehe. Die Information Mord stammt von Hamlets Vater selbst, genauer gesagt von seinem Geist. Nun ist das mit Geistern so eine Sache. Im schamanischen gibt es das Konzept der rachsüchtigen, bösartigen Ahnengeister. Die ihre Nachkommen ins Unglück stürzen. Damit ergibt sich für mich sofort Sinn in der Geschichte. Und so kann ich entspannt ins Schauspielhaus Düsseldorf gehen und mir die Hamlet-Aufführung mit Christian Friedel und Woods of Birnam angucken. Und bin hin und weg. Christian Friedel ist ein begnadeter Schauspieler. Die Schlussszene(n) bestreitet er ganz alleine, er ist Laertes, die Königin, der König und Hamlet. Er flitzt auf der Bühne hin und her, nur durch Veränderung seiner körperlichen Präsenz erkennt man, wen er gerade darstellt. Der nuschelnde, schlurfende Laertes, der dynamische, federnde Claudius, die feminine Königin, der durchgedrehte Hamlet. Irre, Wahnsinn, klasse. Die anderen Schauspieler sind auch gut, Christian Erdmann als König Claudius gefällt mir grandios. Doch Christian Friedel toppt alles.

Und dann die Band Woods of Birnam. Der Auftritt Hamlets, die Aufführung, die im ursprünglichen Text ja vorgesehen ist, wird hier durch die Band gestaltet. Mit Christian Friedel als Leadsänger. Mit den Texten passend zum Stück, genuiner Teil des Stücks. Wie überhaupt die Sprache changiert zwischen der komplizierten Satzstruktur aus dem Original und kurzen Bemerkungen, Dreiwortsätzen der Jetztzeit.
Rundum gelungen die Aufführung. Kein Wunder, dass sie ständig ausverkauft ist.



Dienstag, 7. Mai 2019

225 Jahre

Keine Ahnung, ob das wirklich die Zahl ist, die immer genannt wird, wenn es darum geht, wie lange es noch dauert, bis Gleichstellung erreicht ist, wenn es im bisherigen Tempo weiter geht. Seit gestern bin ich wieder überzeugt, dass es noch länger dauert. Besuch in der Sparkasse Vorpommern-Greifswald, Verleihung des Wissenschaftspreises der medizinischen Gesellschaft und des Unternehmerverbandes. Fünf alte Männer verleihen einem jungen Mann einen Preis. Dabei ist an der Publikation zu sehen, dass er UND seine Co-Autorin den Preis verdient hätten. Wenn denn diese Arbeit überhaupt preiswürdig ist, was ich nicht finde. Aber egal. Die fünf alten Männer reden so am Thema vorbei und wirken einfach nur glücklich in ihrem Sein und das sie auf der Veranstaltung reden dürfen und ihren Preis verleihen können. Zum Glück sehe ich, dass der Preis zum vierten Mal verliehen wird, geschlechterparitätisch abwechselnd. Insofern hält sich meine Gereiztheit in Grenzen, zumal mich auch das grandiose Catering befriedet.


Samstag, 4. Mai 2019

Lebensfreude


Dieses Jahr fällt Ostern und Walpurgis fast zusammen. Etwas über eine Woche sind die beiden Feste nur auseinander. Ostern, das Fest der Transformation. Tod und Auferstehung. Walpurgis mit dem ausgelassenen Tanz in den Mai.

Im Jahreskreis, in den Jahreskreisfesten geht es um eigene, innere Entwicklung entlang der in der Natur sich abzeichnenden Vorgänge.
Etwas stirbt, und bringt Neues, Verändertes ans Licht. Der Samen, der Weihnachten ein Funke im Dunkel war, der sich Lichtmess als Vision für das Jahr gezeigt hat, der kommt Ostern ins Licht. Etwas Neues wird möglich. Zumal ich wieder an Palmsonntag etwas endgültig beendet habe. Und hoffentlich genug von mir selbst verstanden habe, so dass Transformation möglich ist. Raus aus den alten Mustern. Das wirklich etwas Neues beginnt, Neues möglich wird, Neues aufblüht.

Und dann Walpurgis. Fest des Wachsens, der Lebensfreude, des Uberbordenden, Sinnlichen, Kraftvollen. Ich fühle mich nicht so. Ich fühle mich eher nach einer schweren Krankheit genesen. Zum groß Feiern reicht die Kraft noch nicht. Aber ich spüre in mir einen Funken Lebensfreude, den unzerstörbaren Funken Lebenskraft, der mich selbst in meiner dunkelsten Zeit nie verlassen hat.
Und im Zusammenfallen beider Feste weiß ich: Zukunft ist (wieder) möglich.


Dies Jahr gestalten wir unseren Jahreskreis mit Pilgern. An Walpurgis, beim Gehen auf dem Jakobsweg von Pütte nach Steinhagen achte ich darauf, was mir zum Thema Lebensfreude in der Natur begegnet. Ich sehe den ausgekofferten Graben. Befreit von altem Unkraut und Schlamm kann er wieder fließen.