Samstag, 8. Dezember 2018

Weihnachtsmärchen

Keine Ahnung, wie oft ich den Nussknacker als Ballett schon gesehen habe. Oft. Nicht alle Jahre wieder, aber jedes zweite oder jedes dritte Jahr doch. Vielleicht war der Ballettmeister des Theater Vorpommern, Ralf Dörnen, auch der Meinung, es reicht mit dem Nussknacker. Etwas neues muss her. Und hat sich hingesetzt und ein neues Ballett choreografiert: Weihnachten - das Ballett. Und wie fast immer ist es gelungen. Maria durch ein Dornwald ging, Es ist ein Ros entsprungen, die alt bekannten Weihnachslieder, dazu sowohl Pas de deux von Maria und dem Engel als auch von Maria und Josef. Ganz intensiv wird Weihnachten, der Ursprung von Weihnachten, als eine Paargeachichte, als eine Beziehungsgeschichte deutlich. Weihnachten wird immer als die Geburt Jesu gefeiert. Dass dem eine Beziehung zugrunde liegen muss, eine zwischen Gott und den Menschen, eine zwischen Maria  und Josef, eine zwischen Maria und dem Engel und auch zwischen Josef und dem Engel, dass wird in den getanzten Bildern so greifbar, sichtbar. Berührend.
Und dann wechselt die Szenerie, moderne Weihnachtssongs. Ein Weihnachtsmännerballett, bei dem ich nur vergnügt grinse. Wenn es nicht so virtuos getanzt wäre, könnte es bei jeder Weihnachtsparodie auf'm Dorf aufgeführt werden. Vier Weihnachtsmänner, vier Einkaufswagen voll mit Geschenken. Luftsprünge, ein Kreisen mit den Wagen zur Musik. Und dann die blonde Schöne in dem grünen Glitzerkleid. Es gibt genug Lieder, in denen die Rede davon ist, Santa Claus zu vernaschen. Feinster Sexismus, mal mit anderen Rollen. Ich werde immer wieder an Videoclips erinnert. Pro Lied eine kurze Geschichte getanzt. Doch dann kommt der Bolero von Ravel. Und dazu entfaltet sich das Desaster einer Familienfeier zu Weihnachten. Ich habe das Stück noch nie mit diesen Augen gesehen. Doch ich weiss nicht, ob ich es je wieder mit anderen Augen sehen kann. Es ist, als wäre der Bolero nur für diesen Zweck geschrieben worden, eine eskalierende Familien-Weihnachtsfeier zu orchestieren.
Nach der Pause geht es so intensiv weiter. Dörnen hat das alte Engel-Ballett mit dem neuen Ensemble wieder aufgenommen. Die Musik ist moderne Klassik und tut manches Mal in den Ohren weh. Die Engel sind wunderschön anzuschauen. Und doch wirken sie grausam, wirken sie entrückt. Ich habe vor ein paar Wochen ein Buch gelesen. Rückkehr der Engel von Marah Woolf. Gruselig. Die Engel sind zurück auf der Erde und haben keine Empathie, keine Freundlichkeit für die Menschen in sich. Daran erinnert mich dieses Ballett so sehr, dass ich schaudere.
Danach gibt es wieder getanzte Videoclips zu modernen Weihnachtslieder. Leider, leider ist Last Christmas von Wham nicht dabei. Dann wird es noch einmal intensiv und romatisch und modern. Wie auch immer. Zwei Schneemänner, bzw. ein Schneemann und eine Schneefrau, mit einem Schneeflockenkind. Vielen weiteren Schneeflocken. Familiendynamiken in Schneeform. Erwachsen werden in emotionaler Entwicklung. Und gleichzeitig leicht und luftig anzugucken wie ein Ballett für Kinder. Ich gehe schwebend raus aus dieser Aufführung und weiß wieder, warum ich Ballett so liebe.

Die Weihnachtsmänner mit ihren Einkaufswagen voll Paketen haben einige ihrer Päckchen ins Publikum geworfen. Eines davon ist bei mir gelandet. Neben Schoko und Nüssen enthielt die beiden Fotos:

Donnerstag, 29. November 2018

Bewegte Zeiten

Es sind bewegte Zeiten. Alles ist im Fluss. Ständig verändert sich alles mögliche um mich herum und ich selbst verändere mich auch. Insofern lächele ich über den Titel der grossen archäologischen Ausstellung in Berlin "Bewegte Zeiten".


Nichtsdestotrotz fahre ich für ein Wochenende nach Berlin, treffe zwei Freundinnen aus meiner wildbewegten Vergangenheit und besuche die Ausstellung. Und bin beeindruckt. Mit der Schwerpunktsetzung auf Mobilität, Austausch, Konflikt und Innovation gelingt es den Ausstellungsmachern, die Unruhe und Aktivitäten vergangener Zeiten und Menschen greifbar zu machen. Klar meckert mein Archäologinnenherz bei manchen Vitrinen. Die Ausstellung ist vollgeknallt mit Funden, viel zu wenig drumherum Informationen, finde ich. Egal: die Funde sind beeindruckend, manche Inszenierungen grandios. Einige Fundstücke sind gar zum ersten Mal ausgestellt. Eine absolut sehenswerte Ausstellung.


Die zweite Ausstellung des Tages ist ganz anders bewegend: Welcome to Jerusalem im jüdischen Museum Berlin. Landkarten, Bilder äh Fotos aus Jerusalem durch die Zeiten. Die auch sehr bewegt waren und sind. Ich bekomme ein Gefühl für diese Stadt, in der ich noch nie war. Ein Blick auf die Stadt, der meinen durch Fernsehbilder von Unruhen geprägten Blick verändert, erweitert. Und mich in die Realität der durch die Vergangenheit geprägten Jetztstadt Jerusalem holt.



In die Realität der Zukunft bringt mich der anschließende Restaurantbesuch bei Good Bank. Auf der Expo 2000 in Hannover waren im Länderpavillion Niederlande Produktionsmethoden der Zukunft für Pflanzen/Nahrungsmittel vorgestellt. Gewächshäuser mit Pflanzen in Nährlösung, mit Tageslichtlampen. Und jetzt, 2018, stehe ich in Berlin in einem Restaurant bzw. eher einer Bar/Imbissbude. Glaskästen in Form von riesigen Kühlschränken, taghell erleuchtet, bilden den Hintergrund der Theke. Darinnen Paletten mit Salat, Salat, Salat. Oak Salat und Chocolat Salat. Frisch geerntet, also aus dem Gewächshausschrank geholt, landet der Salat in der Bowl.





Mittwoch, 28. November 2018

Festempfang, Geschäftsessen, Get together

Transfer und Kooperation heißt Firmenkontakte, Firmenkontakte, Firmenkontakte. Und das hat zur Folge, dass ich zu Veranstaltungen mit Essen eingeladen werde. Gestern Sparkasse, heute IHK, letzte Woche Regionalbeirat und Wirtschaftsforum. Überall ist ein kleines Buffet aufgebaut.


In meinem ersten Berufsleben war ich Hotelfachfrau. Ich weiß genau, was gute (Hotel-)Küche ausmacht. Und durch diese Geschäftsessen sehe ich, wie sich Gastronomie weiterentwickelt hat. Welche Speisen seit über 30 Jahren in dieser Form in den Warmhaltebehältern serviert werden, und welche Speisen neu dazu gekommen sind. Und welche einfach nur in neuen Gläsern serviert werden wie die Süßspeisen.

Die richtig große Innovation kann ich nicht erkennen. Die habe ich in Helsinki an der Uni gesehen. Zum Kaffee nachmittags gab es Smoothies statt Kuchen. Und das Essen war immer vegetarisch. Die Hochschule hat sich aus Klimaschutzgründen dafür entschieden nur noch vegetarisches Essen anzubieten. Ganz neue Geschmäcker, ganz andere Zutaten.








Montag, 26. November 2018

Mich selbst feiern

Bei mir ist es wie bei allen anderen Menschen auch: es gibt gute oder weniger gute Tage. Heute war so ein Tag, wo ich nicht weiß, ob es ein guter oder ein weniger guter Tag war. Viel Arbeit, wenige, aber gute Gespräche, eine schlecht geschlafene Nacht, ein leckeres Geschäftsessen. Ein durchwachsener Tag mit Tendenzen zu einem nicht so guten Tag. Um die Waagschalen auszugleichen, zünde ich die noch von meinem Geburtstag herum liegenden Kerzen an und feier mich selbst.


Sonntag, 25. November 2018

Seediensttauglichkeitszeugnis

Seediensttauglichkeitszeugnis. Deutsche Sprache eignet sich immer wieder gut für das Galgenmännchenspiel. Auf Englisch heisst es schlicht German Medical Certificate. Und genau das ist es auch. Das deutsche Zertifikat, dass ich gesund bin.
Auch wenn ich nur Hand für Koje auf der Alexander von Humboldt 2 fahre, also ehrenamtlich, und nur Kost und Logis auf der Alex frei habe, brauche ich doch die Bescheinigung nach STCW, dass alles mit mir physisch und psychisch in Ordnung ist.

Und wie das mit so Zertifikaten ist: damit darf ich nicht nur auf der Alex als Purser fahren, sondern auf jedem anderen Schiff auch über die Weltmeere schippern. Als Purserette (so lautet nämlich der korrekte weibliche Begriff) auf einem Expeditionsschiff mitfahren, dass käme meiner Abenteuerlust schon entgegen. Doch erstmal stehen nächstes Jahr zwei Alex-Törns an, und das Sicherheitstraining nach STCW muss ich auch noch absolvieren.

Samstag, 24. November 2018

Kaffee in Helsinki

Um die 10 kg Kaffee trinken die Finnen  (und Finninnen) im Jahr. Das schaffe ich auch. Von daher bin ich in Helsinki genau richtig. Nur die Preise hauen mich immer wieder um. 1-2 Euro mehr als in Deutschland für einen normalen Milchkaffee oder Latte Macchiato, in hübschem Ambiente gleich 3 Euro mehr. Das geht schon ziemlich in mein Reisegeld. Die hohen Preise erklären vielleicht auch, warum in vielen Cafes sowas wie (informelle und inoffizielle) Co-Working-Spaces existieren. Mehrere Leute mit Laptop, an einem Tisch, es ist nicht klar, ob die sich kennen, oder ob sie sich verabredet haben. Klar ist nur, alle drei, vier, fünf Personen, so wie sie da sitzen, arbeiten hart. Von den Einzelnen, die eher abseits in einer Ecke am Laptop arbeiten, gar nicht zu reden. Die ganze Innenstadt von Helsinki hat freies W-LAN, in den Cafes gibt es passwortgeschützte freies W-LAN. Draussen graues November-Wetter, drinnen weiches Licht, draussen nass und kalt, drinnen Wärme und eine angenehm ruhige Arbeitsatmosphäre. Mehrfach bin ich in solchen Cafes zu Besuch und fühle mich pudelwohl.




Ich könnte noch endlos über meine Erlebnisse in Helsinki schreiben. Über die Tangoschule, an der ich jeden Abend vorbeigegangen bin, die ganzen russischen Einflüsse, die ich wahrgenommen habe, inklusive der russischen Gespräche von Touristen um mich herum. Die ganzen Jugendstilhäuser, Häuserzeile um Häuserzeile. Jugendstil-Türen, Jugendstil-Verzierungen, Jugendstil-Innendekorationen. Jugendstil, der auf Finnisch nur Jugend heisst. Moderne finnische Architektur, finnisches Design. Der Deko-Overkill bei Marimekko. Und trotzdem kaufe ich jedem Kind eine Tasse mit passenden Servietten dazu. Die Mumins, als Tasse, als Cafe, als Schreibblock. Auch hier kaufe ich natürlich wieder ein Schreibheft, wie in jedem Land, das ich besuche. Und weil Weihnachten schon in denkbarer Nähe ist (und die Finnen einen Weihnachtsfimmel haben), kaufe ich meinen jährlichen neuen Weihnachtsbaumanhänger in Helsinki.

Fazit: Helsinki ist eine Reise wert, selbst im November.

Farbige Blickfänger vor dem Design-Outlet in Arabia

Tove Janson, die Erfinder der Mumins, muss eine beeindruckende Frau gewesen sein

Marimekko-Design bei Finnair

Selbst die Straßenbahn kriegt Fußbodenheizung

Wenn es um Weihnachten geht, haben die Finnen klare Vorstellungen. Schließlich wohnt der Weihnachtsmann in ihrem Land 

Und wieder mal Gin: Lonkero ist DER landestypische Cocktail. Gin und Grapefruitsaft. Mjam.



Sonntag, 18. November 2018

Staff Week in Helsinki

Staff WEEK trifft es nicht ganz, der Kurs an der Uni in Helsinki geht nicht die ganze Woche, sondern nur von Mittwoch bis Freitag.
Das Schöne an so einem Austausch ist für mich unter anderem die Erkenntnis, die anderen kochen auch nur mit Wasser. Ich arbeite zwar nur an einer kleinen Hochschule am Rande der Republik. Aber das, was wir mit unseren Möglichkeiten machen, ist up to date. Und manches ist an einer kleinen überschaubaren Hochschule leichter umzusetzen, als an den riesigen Excellenz-Universitäten. So fahre ich mit einem guten Gefühl wieder nach Hause, und habe gleichzeitig das theoretische Schema für eine Transfer-Strategie in der Tasche, das ich nur noch an die Gegebenheiten an der HOST anpassen muss.Was für mich als Input zum Thema Transfer und Kooperationen zwischen Hochschule und Unternehmen völlig reicht. Auch mein zweites Ziel habe ich erreicht. Einer der Hauptgründe für mich war ja, mein Englisch aufzupolieren. Und das gelingt mir auf jeden Fall. 30 Teilnehmer*innen aus ganz Europa, von morgens halb neun bis abends halb neun alles auf Englisch. Zuhören, mitschreiben, diskutieren, ein Poster erstellen. Die Leute von der Uni machen einen kleinen Wettbewerb daraus: wer hat das schönste Poster. Meine Gruppe gewinnt, nicht zuletzt aufgrund meiner grafischen Idee. Der Siegpreis ist ein Leuchtreflektor aus dem Logo der Universität Helsinki. Die Flamme des Wissen. Die Technik bzw. die Idee des Leuchtreflektors stammt aus Finnland.


Der Workshop findet im Hauptgebäude der Universität mitten in der Stadt, direkt am Senatsplatz, statt. Das Gebäude ist aus dem 18. Jahrhundert, was man an jeder Ecke sieht. Und gleichzeitig ist die Infrastruktur auf der Höhe des 21. Jahrhunderts.




Wie überhaupt Geschichte und Erinnerung hier hochgehalten wird. Das Fresko mit der Übergabe der Flamme des Wissens ist beim Bombardement im 2. Weltkrieg beschädigt worden. Wie passend: die Flamme des Wissens war in der Zeit nicht viel wert.


Mittwoch, 7. November 2018

Sauna in Helsinki

Schon beim Vorbereiten der Reise habe ich gesehen, dass direkt neben Hafen und Marktplatz eine öffentliche Sauna ist. So häufig sind öffentliche Saunen in Finnland wohl nicht mehr, da jeder eine eigene Sauna zuhause hat. Da will ich hin.

Allas Sea Pool. Sea Pool, weil das zweite Aussenbecken mit gereinigtem Wasser aus der umliegenden Ostsee mit der identischen Temperatur gefüllt ist.  Heute 6º Celsius. Der andere Aussenpool hat schnuckelige 27º C. Helsinki im November heisst diesig, bewölkt, nebelig, 7-10º C tagsüber. Trüber November eben. Und so ist es sonnenklar, äh nebelsicher, dass ich da heute hin gehe. Das ganze Gelände voll ökologisch, viel Holz, die Garderobenschränke aus recyceltem Hartplastik, alles ziemlich neu. Und klar, die Sauna finnisch solide, Männlein und Weiblein getrennt, dann kann man auch nackig in die Sauna, die gemischte Sauna ist nur mit Badeanzug oder -hose erlaubt.



Ich bin nachmittags in der Sauna, 16 Uhr geht die Sonne unter, da kann ich sowieso nicht mehr viel Sightseeing machen. Beim ersten Saunagang sehe ich durch das grosse Fenster die Fähre nach Suomenlinna, Motorboote, Ruderboote. Hafenleben. Ein irrer Ausblick,  wenn man selbst warm auf der Bank in der Sauna sitzt.

Beim ersten Mal traue ich mich nur in das warme Becken, nach dem zweiten Saunagang nehme ich all meinen Mut zusammen für das Ostseebecken. Der Badewärter mit dicker Daunenjacke und gelber Wollmütze begleitet mich zur Treppe. Ich gehe tapfer bis zur vorletzten Stufe, tauche zweimal unter. Das reicht! Meine Beine kribbeln und stechen vor Kälte. Beim anschliessenden Schwimmen im warmen Becken erfreue ich mich an den aufsteigenden Wassernebeln. Langsam fällt die Dämmerung ein, alles wird in ein warmes graues Licht getaucht, weichgezeichnet durch die verdampfenden Wasserschwaden. Ich schwimme meine Runden und bin völlig entspannt mit mir im Reinen.

Um mich herum ein Sprachengewirr. Ich höre französisch, russisch, deutsch, spanisch und finnisch. Untereinander sprechen wir auf Englisch miteinander. In dieser finnischen Sauna wird geredet, a lot of.



Südafrika in Helsinki

Irgendwie habe ich immer Glück auf meinen Reisen, irgendwie schaffe ich es immer, dass gerade ein World Music Festival in der jeweiligen Stadt ist. Hier in Helsinki läuft diese Woche Ethnosoi. Und so gehe ich am Dienstagabend in das Kulturzentrum Korjamo in einem umgebauten Straßenbahndepot. Und erlebe ein cooles südafrikanisches Konzert mit Dizu Plaatjies and The Ibuyambo Ensemble. Erlebe eine Finnin, die so authentisch afrikanisch tanzt, dass sie mit auf die Bühne darf, einen Finnen, der auf Händen läuft und die Beine in der Luft wackeln lässt. Einfach so, weil die Stimmung danach ist. Es ist eben Südafrika in Helsinki.


Dienstag, 6. November 2018

Weltkulturerbe in Helsinki

So ganz uneigennützig habe ich mich ja nicht für die Staff Week in Helsinki entschieden. Zum einen ist es ein bislang fehlender Punkt auf meiner Europäische Hauptstädte-Karte, zum anderen haben die hier auch UNESCO-Weltkulturerbe. Das hat bei meiner Entscheidung schon auch eine Rolle gespielt.


Und so fahre ich mit der Fähre raus auf die vor Helsinki liegende Festungsinsel Suomenlinna. Und bekomme einen Crashkurs in finnischer Geschichte. Die Inseln stehen nicht nur unter Welterbeschutz, weil sie eine freie und gelungene Adaption der Vaubanschen Festungsidee sind, sondern auch, weil die Festung unter drei Nationen genutzt wurde. Finnland als solches gibt es erst seit 1918. Vorher war es knapp 100 Jahre russisch, davor schwedisch. Bis heute ist Schwedisch zweite Amtssprache in Finnland, was mir das zurechtfinden aufgrund meiner Dänischkenntnisse sehr erleichtert. Die Ausstellung ist zum Glück dreisprachig, Englisch lesen geht doch besser (und schneller) als Schwedisch.

Am stärksten zerstört wurde die Festung im Krim-Krieg (1853-56). Das macht mir das Bizarre von Kriegen wieder so deutlich. Die Krim ist weit weit weg von hier, doch ist der damalige Streit auch hier ausgetragen worden. Egal, wo der Krieg ausbricht, und worum er sich dreht, es kann dich eben doch treffen.
So wandere ich melancholisch über die Insel, entlang von Mauern, Schanzen, Kasematten, Kanonen, Pulvermagazinen. Alles, was so eine Festung braucht, inklusive Wohnhäusern der Händler, Garnisonskirche und vielem mehr.




Was mir besonders gefällt, ist das 1748 gebaute Trockendock, dass immer noch in Betrieb ist. Jetzt nicht mehr für Kriegsschiffe, sondern für Traditionsschiffe.



Nun habe ich nicht nur Archäologie studiert und interessiere mich für Geschichte, sondern ich habe auch Geographie studiert und interessiere mich für die Jetztzeit. So streune ich durch die Hintergassen der Insel, komme an Bibliothek und Gefängnis vorbei.
Soumenlinna ist ein lebendiger Stadtteil von Helsinki mit 800 Einwohnern, die mit 800.000 Touristen jedes Jahr klar kommen müssen. Was sie sehr freundlich und elegant tun, indem sie sich manches Mal klar und manches Mal kreativ abgrenzen.




Die Bedürfnisse der Einwohner*innen erklärt auch die Existenz eines kleinen Supermarktes und einer Badestelle. Und so sitze ich auf den Felsen und genieße den Blick auf die Ostsee.



Finnland hat sieben UNESCO Welterbestätten. Eine davon habe ich jetzt kennen gelernt. Und bis heute ist die Grenzwache präsent auf der Insel.


Lost and found in Helsinki

Wer mich kennt, weiß, dass ich meistens zwei unterschiedliche Handschuhe trage. Immer wieder kaufe ich ein neues Paar. Und dann geht ein Handschuh kaputt, oder - das ist der Regelfall - ich verliere einen.


Nur dieser ist schon länger als vier Winter bei mir. Sein momentaner Kompagnon ist mir bereits am ersten Abend in Helsinki verlustig gegangen. Zwar habe ich gleich am nächsten Morgen auf dem Markt am Hafen in Helsinki ein neues Paar Woll-Handschuhe gekauft.


Doch auf dem Schiff nach Suomenlinna und erst Recht auf den Felsen am Wasser merke ich, wie der Wind kalt hindurchpfeifft. Zum Glück habe ich auf einem Pfosten hängend einen fremden einzelnen linken Handschuh gefunden. So nutze ich das Prinzip der Doppelkastenfenster bzw. das Zwiebelprinzip für meine Handschuhe.

Jetzt, wo ich einen Blick dafür habe, sehe ich allenthalben einzelne verlorene Handschuhe.




Und einmal sogar an der städtischen Badestelle eine Badehose. Kein Wunder, es ist fieser, kalter, diesiger November. Da musste es heute morgen vermutlich schnell gehen.



Whatslos on Helsinki

In Stralsund stöhne ich immer darüber, dass die Informationen zu Veranstaltungen so versteckt sind. Von daher haben wir die Whatsapp-Gruppe Whatslos in Stralsund gegründet, wo wir uns gegenseitig informieren. Hier in Helsinki fehlt mir diese Gruppe bitterlich. Stattdessen habe ich schon zuhause diverse Foren durchgeguckt, verschiedene Veranstaltungsankündigungsplattformen besucht und mir ein Abendprogramm zusammen gestellt. Und die Tage hier die Aufkleber an Laternenmasten studiert.


Die Ankündigung heute Abend war Finnisch folk. Jiri Nikkinen im Juurilla Club. In einer Location namens Kanneltalo. Hm. Das Internet sagt, dass es sich um ein kommunales Zentrum in einem Neubau-Gebiet handelt. Bei denen auf der Seite kann ich auch entnehmen, dass es um 18 Uhr anfängt. Die Ankündigung klingt derartig improvisiert, dass ich sehr zeitig losfahre, um im Zweifel zu dem anderen Event zu fahren können, den ich auch in Betracht gezogen habe. Doch weit gefehlt: als ich um 17.34 Uhr im Kanneltalo ankomme, ist die Bude proppenvoll. Lauter weiße Finninnen und Finnen in meinem Alter und etwas älter. In der Innenstadt konnte ich sehen (und hören), dass es auch finnische Leute mit einem anderen ethnischen Hintergrund gibt als weiße Europäer. Davon ist hier keiner da (die sehe ich erst, als ich nach dem Konzert in den benachbarten Supermarkt gehe. Da begegnen mir muslimische Frauen mit kleinen Kindern, afrikanische Männer, die vor der Tür rumstehen).

Juurilla Club erklärt sich zwanglos: das Konzert ist im Foyer des Kulturzentrums, zwischen der Bibliothek und einem kleinen Imbiss, mehr oder weniger auf dem Flur. Es ist wirklich guerillamässig hier eine Bühne aufzubauen und ein Konzert zu geben. Fluchtwege, Lärmbelästigung, Akustik. Egal. Es ist, wie gesagt, proppenvoll, kein einziger Sitzplatz mehr. Und auch die Stehplätze sind begrenzt. Ein netter Mann organisiert zwei Kinderstühle aus der Bibliothek nebenan, wovon ich einen haben darf.
Und dann gibt es keinen Finnisch folk. Sondern ein astreines Beatles Revival Konzert mit ein paar zusätzlichen Rockabilly Songs und einer Interpretation von Major Tom, dass ich Gänsehaut habe.


Es ist eben auch so voll, weil Jiri Nikkinen nicht nur ein lokal relativ bekannter, sondern auch ein guter Musiker ist, egal welche Stilrichtungen er und seine Band spielen.