Sonntag, 31. Mai 2020

Kunst:Offen 2020

Als ich rumgefragt habe, wer denn Lust hat, mit mir zu Kunst:Offen zu gehen, habe ich immer PfingstOffen gesagt. Denn genau das ist die Idee: zu Pfingsten öffnen die Menschen ihre Häuser und zeigen Kunst. Wobei Kunst hier wirklich weit gefasst ist. Jede und jeder, der sich berufen fühlt, stellt kreative Ergüsse aus. Das reicht vom Malzirkel über Hobbyfotografinnen bis zu bekannten Bildhauern, renomierten Töpferinnen, Galerien und Zweitwohnsitzen von bekannten Künstlern. Kunsthandwerk, echte Kunst (aka Menschen des Künstlerbundes) und Hobbykunst wild durcheinander. Aber gerade das macht den Charme von Kunst:Offen zu Pfingsten aus. Du weißt nie, was dich erwartet. Da die Hürde nur in anmelden besteht, öffnen die Leute ihre Häuser, Ateliers, Schuppen, Scheunen und Gärten, hängen die Fahne raus, kochen Kaffee und harren der Gäste, die da kommen.
Im Herbst, zu Kunst heute, dürfen nur "echte" Künstler mit Stempel vom Künstlerbund teilnehmen. Das sind natürlich viel weniger Angebote und längst nicht so aufregend, finde ich.  Zu Kunst:Offen weiß ich nie, ob ich nicht doch noch einen unbekannten Kunsttrüffel finde oder mir unbekanntes wunderschönes Kunsthandwerk.

Jedes Jahr gibt es eine Karte mit den teilnehmenden Künstler*innen und danach plane ich dann meine Route. Im Prinzip ist es wie bei Festivals. Schon beim Planen weißt zu - nie und nimmer schaffst du alles, was du dir vorgenommen hast. Einer der Reize von Kunst:Offen ist auch, nicht zu wissen, bei wem du im Garten versinkst, weil es so ein nettes Gespräch beim Kaffee trinken ist. Ein weiteres schönes Erlebnis ist jedes Jahr die bummelige Fahrt über Land, Straßen und Dörfer, die ich noch nie gesehen habe, obwohl ich seit 30 Jahren hier in MV lebe.



Da ich der Landkarte mehr traue als dem Navi, bestehe ich darauf einen Schotterweg hineinzufahren. Der Weg wird immer enger, immer unbefahrener, bis wir auf einer Wiese landen, wo die Fahrspur noch gerade zu sehen ist. Wir befinden uns inmitten der Trebelwiesen und Google Maps sagt, hier geht es noch 3 km über die Wiese, inklusive zwei Gräben. Wir trauen uns dann doch nicht weiter zu fahren, genießen den Ausblick,  machen Picknick und freuen uns des Lebens.

Der einzige Kunsttrüffel, den ich dieses Jahr finde, ist eine Fotografin aus Rostock, Annette Gerhardt. Blicke aus dem Fenster.


Samstag, 30. Mai 2020

Benzinpreise


Dass ich in diesem Leben nochmal zu dem Preis tanke, hätte ich niemals geglaubt.

Freitag, 29. Mai 2020

Tag der Nachbarschaft 2020

Letzes Jahr habe ich die bundesweite Aktion "Tag der Nachbarschaft" entdeckt und auch gleich ein kleines Fest bei mir hinterm Haus organisiert. Dieses Jahr ist alles anders, dachte ich, das Fest kann nicht stattfinden. Doch gerade rechtzeitig sind gefühlt alle Kontaktverbote aufgehoben, und so habe ich diesen Montag meinem ganzen Haus eine Einladung in den Briefkasten geworfen und für heute Nachmittag in den Park eingeladen. Natürlich mit schön Corona-Verhaltensregeln dabei, jede*r sein*ihr eigenes Geschirr, Abstand halten, was halt auf so einen Corona-Zettel gehört. Und ganz klassisch: M.d.B.u.A. Mit der Bitte um Antwort. Ich wollte schon wissen, wie viele kommen. Aber, es hat sich niemand bei mir gemeldet, weder Zu- noch Absagen. Ich sah mich schon mit meinem Mitbewohner alleine im Park mit meinem Rhabarber-Crumble. Zum Glück hatte ich wenigstens eine Nachbarin im Hausflur getroffen, die hatte dann zugesagt. In meiner Not habe ich heute morgen meine WhatsLos-Gruppe angeschrieben. Und siehe da, davon wollen zwei kommen. Zuguterletzt kommt auch noch das Pärchen von oben. Macht sieben Personen aus fünf Haushalten. Ein kleineres Nachbarschaftsfest zu Corona-Zeiten, aber ein Fest.

Party-Location 


Dienstag, 26. Mai 2020

Social Distancing

Nach fast drei Monaten ist mein persönlicher Lockdown vorbei. Ich darf, ich kann wieder persönlich auf Arbeit anwesend sein, die Zeit der Videokonferenzen und Telefonate endet nach Pfingsten.
Nicht jedoch endet meine Verantwortung, mit Social Distancing umzugehen, mir zu überlegen, wie ICH mit Infektionsketten, Ansteckungsrisiko etc. umgehen will. Das bleibt.

Hannah Arendt hat gesagt: Keiner hat das Recht zu gehorchen. Sie hat es am Beispiel der Befehlsketten der NS-Zeit entwickelt. Ich kenne viele, viele, viele Leute, die das gut und richtig finden. Ich gehöre auch dazu. Und war mir immer bewußt, dass es ein guter, ein wahrer Spruch ist. Der damals nicht leicht umzusetzen war. Der selbst im Alltag einer Demokratie nicht leicht umzusetzen ist. Jedesmal, wenn ich nicht gehorche, hat das Folgen. Gehorchen hat so Eltern-Kind-Assoziationen bei mir. Reicht aber bis weit hinein in Gesetze, die zu befolgen auch gehorchen ist.
Und da wird es schwierig: Staat und Politiker*innen, die meinen, sie wüßten, was gut für mich ist, lassen mich wiederspenstig werden. Keiner hat das Recht zu gehorchen. Ich auch nicht. Demokratie ist für mich auch, viele mitreden lassen und eine Balance finden, eine Ausgewogenheit herstellen zwischen den Anforderungen der Gesellschaft als Gruppe von Individuen und den Individuen selbst. Das klassische Wassermann-Thema im Wassermannzeitalter. Oder Förderalismus in einer Demokratie, Regionalisierung in einer globalisierten Welt.

Alle sind mit allen verbunden. Wenn ich mich nicht an Social Distancing halte, hat es nicht nur für mich Folgen, sondern auch für andere. Die Frage, die sich mir dann stellt: Überblicke ich die Folgen meiner Handlungen? Ich denke nein. Ich überblicke die unmittelbaren Folgen, vielleicht. Die mittelbaren Folgen schon längst nicht mehr. Ein gutes, weil liebevolles und positives Bespiel: Wenn ich zu jemand freundlich bin, lächle, dann lächelt die Person auch, lächelt eine oder mehrere weitere Personen an, verschönt deren Tag. Ich überblicke nicht, weiviele Menschen mein eines Anlächeln erreicht. Genauso weiß ich nicht, ob ich, wenn ich mich heute ins Auto setze, in einen Unfall verwickelt werde oder nicht. Das hängt von vielen verschiedenen Faktoren ab, nicht nur von mir. Und die Folgen wären immer da, und können gravierend sein. Und in Corona-Zeiten? Ob ich aus dem Haus gehe, mit oder ohne Maske, hat oder hat keine Folgen. Genauso wie Lächeln oder Auto fahren.


Keiner hat das Recht zu gehorchen! Wenn mir das ein Leitsatz ist, muss ich meine Taten (und ihre Folgen) selbst verantworten. Und mich im Zweifel für oder gegen Social Distancing entscheiden, um im Falle eines Falles auch mit der Schuld zu leben, mit dem Leid leben, das meine Taten verursacht haben. Im Kleinen wie im Großen, das gilt für Umweltverschmutzung genauso wie für Corona. Die Welt dreht sich in Kreisläufen. So schön sich Herdenimmunität anhört, so grausam ist Triage in Notfallambulanzen und Kliniken, weil sich zuviele gleichzeitig angesteckt haben. So praktisch eine Plastiktüte sein kann, so gefährlich ist sie im Meer oder im Wald. ICH habe kein Recht zu gehorchen. ICH muss mir überlegen, für welche Werte stehe ich, was MIR wichtig ist.

Ich kann gar nicht alle Folgen aller meiner Handlungen überblicken. Ich kann nur mein Hirn und mein Herz einschalten, und versuchen, die für mich und die Welt richtige Entscheidung zu treffen. Und das heißt manchmal zu gehorchen und manchmal eben nicht.

Gemeinsames Frühstück mit 1,5 m Social Distancing Abstand

Sonntag, 24. Mai 2020

The Euphoria of beeing

Wenn die Hauptperson schon Éva heißt, dann bin ich per se neugierig. Wenn der Film über eine 90jährige geht, die gebeten wird, gemeinsam mit einer professionellen Tänzerin ein Stück, eine Choreographie einzustudieren, bin ich ebenfalls neugierig. Wenn es darum geht, ein Trauma zu vertanzen, erst recht eins wie den Holocaust, wie Auschwitz, dann schaufel ich mir auf jeden Fall die Zeit frei. Und es hat sich absolut gelohnt. "The Euphoria of beeing" von Reka Szabo hat völlig zu Recht den Publikumspreis auf dem diesjährigen DokFest München gewonnen. Wie die 90jöhrige Éva Fahridi, einzige Auschwitz-Überlebende ihrer Familie, gemeinsam mit der Tänzerin Emese Cuhorka und der Regisseurin Réka Szabó die Choreographie entwickelt, wie Stück um Stück das persönliche Trauma Auschwitz sichtbar wird, das ist absolut sehenswert. Und immer respektvoll beiden Tänzerinnen gegenüber, immer liebevoll und lebenszugewandt. Alles was wir in der Schule über Auschwitz gehört haben, kommt in ihren Erinnerungen auch vor. Plus die Auseinandersetzung mit ihrem Vater, der seinen beruflichen Erfolg nicht aufgeben wollte und deshalb nicht aus Ungarn flüchtete, als noch Zeit war. Den Traumaheilungsprozess durch die Entwicklung der Performance zu erleben, die ungebrochene Lebenslust von Éva Fahidi, 90 Jahre alt, zu spüren, die anhaltende Trauer über die getötete Schwester wahrzunehmen. Das macht mich erneut entschlossen zu einem Nie Wieder. Und lässt mich gleichzeitig warm berührt von einem außergewöhnlichen Menschen zurück. Danke an die drei Frauen, Éva Fahidi, Emese Cuhorka und Réka Szabó, dass ihr diesen Film miteinander gemacht habt.

This Train I Ride

Wie oft bin ich schon am Bahnhof gestanden, und langsam, langsam ist ein Güterzug durchgefahren. Manchmal hat er auch mitten auf dem Bahnhof gehalten.  Und IMMER war ich versucht, einfach aufzusteigen, mitzufahren, mich dem Abenteuer hinzugeben. Selbst mit über 35 noch, mit zwei kleinen Mädchen an meiner Seite, auf dem Velgaster Bahnhof. Einfach so aufsteigen und wie die amerikanischen Hobos mitfahren bis Stralsund.
Die Verlockung war immer da. Ich habe es nie gemacht. In Deutschland ist Trainhopping, Trainsurfing, Freightsurfing genauso wie S-Bahn-Surfen, U-Bahn-Surfen lebensgefährlich und meistens tödlich, dazu absolut verboten. In Deutschland gibt es keine Hobos. Gefährlicher Eingriff in den Bahnverkehr ist im Strafmaß ziemlich teuer und in Deutschland gibt es zuviel elekrifizierte Strecken, 15.000 Volt springen schon bei einer Entfernung von 1 m über.

U-Bahn-Surfen, genau wie S-Bahn-Surfen geht an mir vorbei, aber Güterzüge machen mich an. Der Gedanke, dort mitzufahren, vermittelt mir ein Gefühl von Freiheit, Unabhängigkeit, Abenteuer. Doch wie gesagt - in Deutschland gibt es keine Hobos. Umso begeisterter bin ich, dass beim DokFest München ein Film zu drei weiblichen Hobos dabei ist. Drei Frauen zwischen 20 und 40  hat der Filmemacher Arno Bitschy begleitet beim illegalen und auch gefährlichen Reisen mit Güterzügen quer durch die USA. Mit grandiosen Bildern von Landschaften und Zügen, mit tiefsinnigen Gesprächen und weisen Worten. Aber auch mit Hintergründen, warum die Frauen auf den Zügen unterwegs sind. Ich war nie so arm, oder so unzufrieden mit meinem Leben, dass ich dieses Risiko wie sie eingehen wollte. Und so ist es beim vielfältigen, bezahlten Reisen in Personenzügen geblieben. Ich weiß, wie groß Europa mit dem Zug ist, weiß, was es bedeutet 14, 18, 25 Stunden unterwegs zu sein mit dem Zug. Warschau, Paris, London, Kopenhagen, Nizza, Bozen, Umbrien, Prag, Wien, zuletzt Bologna, ich kenne das Gefühl, morgens aufzuwachen und in einem anderen Land zu sein, europäische Landschaften bebildert mit Zügen zu sehen. Diese Aufregung und Vorfreude auf neue Erlebnisse, neue Orte, neue Menschen. Der Film This Train I Ride erinnert mich an alle diese wunderbaren Gefühle und lässt das Fernweh wieder voll erwachen. Was ein toller Film!

Samstag, 23. Mai 2020

Corona-Chroniken

Der Blog ist im Augenblick still. Nicht weil ich zu wenig erlebe, sondern weil dass, was ich erlebe, (noch) zu intensiv ist, um in Worten ausgedrückt zu werden. Vielleicht auch nicht geeignet für Öffentlichkeit ist.

In meinem Umfeld gibt es Klagen, Bemerkungen, dass zu wenig passiert, dass es nichts zu berichten gibt, weil ein Tag dem anderen gleicht. Die Dienstreisen fallen weg, die Events finden nicht statt. Social Distancing heißt, man sieht keinen mehr persönlich, auch die Kolleg*innen nur noch per Telefon- oder Videokonferenz.
Ich finde nicht, dass zu wenig passiert, ich finde nicht, dass ein Tag dem anderen gleicht. Zum einen passiert ja doch einiges. Zum anderen weil in mir durch die Zeit für mich und die Ruhe Prozesse angestoßen werden, die ich im lärmenden normalen nichtcorona Alltag all zu gerne weggedrückt hätte. Geht ja. Die Aussenreize sind sonst so stark, die Welt so groß und bunt, da muss ich mich nicht mit mir und meinen tieferen Untiefen auseinandersetzen. Doch 10 Wochen Homeoffice, 10 Wochen keine persönliche Berührung, kein Hautkontakt, nicht mal ein Handschlag. Babys sterben, wenn sie nicht berührt werden. Das bringt mich in die - heilsame - Krise.

Durch die Extremsituation ist Zeit, sich mit mir selbst auseinanderzusetzen. Mit meinen Ängsten und meinen Sehnsüchten. Ist Zeit, mir klar zu werden, über den Weg, den ich nach Corona weitergehen will. Nutze ich die Zeit, um die vielen Fäden aufzunehmen, die ich gesponnen habe, um Spiritualität zu leben. Und so gehe ich gestärkt aus dieser schwierigen Zeit hervor. Weil ich mich meinen Ängsten gestellt habe. Dinge zum Abschluss gebracht habe, Abschied genommen habe. Klarheit gewonnen habe. Dinge tue, die ich mir lange gewünscht habe. Es geht mir meistens gut mit dieser hohen Intensität. Aber sie produziert keine Blog-Texte, kaum Handybilder.

Vielleicht finde ich deshalb den arte-film Corona-Chroniken gleichzeitig gut und schwach. Weil meine 70 Tage Corona-Situation soo intensiv waren. Corona-Chroniken: Handyfilme von verschiedensten Menschen aufgenommen, zusammengesetzt von der Regisseurin Elke Sasse. Eindrückliche Bilder, das Leid der spanischen Krankenschwester, die eine Sterbende begleiten muss, da es nicht genug Intensivbetten gibt, die ganz klar die prekären Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen anspricht, der italienische Rettungswagenfahrer, der das Schlusswort hat, in dem er seine Erleichterung ausdrückt, dass der Notruf "nur" ein gefallenes Kind ist (was in nicht Corona-Zeiten die größte Katastrophe ist), der Künstler aus Brasilien, der Krebskranke aus dem Iran, der deutsche Lastkraftwagenfahrer, die australische Forscherin für Anti-Corona-Medizin  in Frankreich, besonders eindrücklich das afghanische Flüchtlingsmädchen in einem Camp in Griechenland. Auch gut fand ich die französischen und deutschen Untertitel gleichzeitig. In der einen Stunde habe ich mehr Französisch aufgefrischt als an einem Wochenende in Paris.

ABER: wo ist die alleinerziehende Mutter, die neben Homeoffice auch noch Homeschooling stemmen muss, und das am besten sowohl aus Frankreich, als auch aus Spanien, Italien und Deutschland, und gerne auch aus Brasilien, Iran, Russland und dem Flüchtlingscamp. Was macht das mit Paaren, mit Familien, so eng miteinander zu leben so lange Zeit? Was ist gleich, was ist anders?
Wie ist das auf den Dörfern, in den Kleinstädten? Der Film zeigt nur Menschen in Großstädten. Auch da: Was ist gleich, was ist anders?
Es gäbe noch viele Corona-Chroniken zu berichten. Und mich interessieren auch die Folgen. Was verändert sich durch die Erlebnisse in dieser Zeit?


Freitag, 22. Mai 2020

The Whale from Lorino

Eine der guten Sachen bei Corona ist, dass Online viel mehr Filme verfügbar sind, UND ich die Zeit habe, mir was anzugucken.
Gestern also dokfest München. Es hat schon was Schräges, statt nach München zu fahren, mich aufzubrezeln, in die U-Bahn zu schwingen, zu einem Festivalkino zu fahren, vielleicht sogar zu bibbern, ob ich reinkomme, all die Kinorituale wie Chips und Eis zu vollführen, koche ich mir einen Kaffee, schnappe mir mein Strickzeug, setze mich gemütlich in mein Sofabett und logge mich ein. Immerhin kann ich wählen, ob ich einen Euro spende für das Kino, in das ich gegangen wäre.
München vor vielen vielen Jahren hat mich Kino gucken gelehrt. Als 22jährige Frühstücksserviererin, die nicht so recht wusste, wie es weitergehen soll in ihrem Leben, die um 14.30 Uhr spätestens Feierabend hatte, habe ich viel Zeit im Kino verbracht. In der frühen Abendvorstellung. Das Gefühl, einen Film fast alleine zu gucken, ist mir also vertraut.

The Whale from Lorino habe ich mir ausgeguckt aus dem Programm. Ich mag Dokumentationen über Tschukotka, überhaupt über indigene Völker nördlich des Polarkreises. Aber ich habe zu viele gesehen. Der Film ist nett. Aber nett ist die kleine Schwester von scheiße. Dabei ist der Film gar nicht soo schlecht. Immerhin habe ich mein Strickzeug nicht mal angerührt.
Die Lebenssituation der Einwohner*innen von Lorino kommt deutlich zum Vorschein. Die Armut, das Kämpfen um Leben und Würde. Die Bedeutung, die die Waljagd in ihrem Leben hat, ökonomisch und historisch-kulturell. Die in meinen Augen phänomenale Landschaft. Aber ich stelle mir immer wieder vor, wie der Film wäre, wenn er in meinem Heimatdorf Velgast gedreht worden wäre. Bis auf die Waljagd und die Landschaftsbilder wäre er inhaltlich mehr oder weniger identisch. Kinder in der Schule, im Museum, beim Spielen im Freien. Das Anschreiben im Laden, die Diskussionen des Paares über Geld und die Pläne zur Renovierung. Die alten Frauen, die Dorfdisko im Freien. Selbst die Nerzfarm lässt sich mit Bildern aus dem Kuhstall ersetzen und ändert nichts an der Aussage. Einzig die Waljagd, da weiß ich auf Anhieb keine analogen Bilder oder vergleichbare Geschichten.  Ansonsten? Ich habe diese Bilder von Tschukotka schon oft gesehen, es ist nichts Neues dabei. Nur die Sequenz über Nau, die erste Frau, die berührt mich.

Freitag, 8. Mai 2020

Awkward und gently

In der Schule habe ich Sprachen gehasst. Nicht zuletzt, weil es für mich eine riesige Anstrengung ist. Sprachen erschließen sich nicht von alleine, sondern erfordern Zeit und Mühe. Vokabeln lernen, Grammatik begreifen, Sprichwörter, Sprüche, bildliche Worte verstehen. Sprache hat für mich mit der jeweiligen Kultur zu tun, deshalb lerne ich sie sich auch leichter im jeweiligen Land,  im Austausch, in lebendiger Kommunikation. Und über Geschichten, seien es Filme oder Bücher. Auf jeden Fall über einen Haufen Zeit-Investition. Ich bin so froh, dass es mir über die Jahre gelungen ist, mein Englisch soweit zu entwickeln, dass ich darin denken kann, mich darin flüssig bewegen kann, und erhalte es am Leben, indem ich, wenn möglich, englischsprachige Bücher lese.
Wenn ich ein ganzes Wochenende damit verbracht habe, Bücher auf Englisch zu lesen, fallen mir manchmal die deutschen Worte nicht ein. Was aber auch daran liegt, dass manche Worte zu viele Bedeutungen haben. Manche gefühlten Situationen sind für mich nur mit "awkward" zu beschreiben. Und manche Handlung ist mit "gently" am besten gekennzeichnet. Awkward mit schräg oder komisch zu übersetzen, trifft das Gefühl, dass in der Situation etwas nicht stimmig war. Es bedeutet gleichzeitig unbeholfen und peinlich, unangenehm und schwierig. Manche Situation ist eben awkward.
Gently dagegen heißt sanft, sachte, vorsichtig, behutsam, mit etwas schonend und langsam umzugehen. Ich wünsche mir mehr gently Umgang miteinander, das macht awkward Situationen einfacher für mich. Ich wünsche mir mehr sanften Umgang miteinander, das macht schwierige Situationen einfacher für mich. Die Übersetzung trifft einfach nicht die Fülle der jeweiligen Emotionen und Empfindungen. Gently hat für mich die Konnotation liebevoll, und bei awkward schwingt viel von Unbewusstheit mit. Sprache, Wörter, egal welcher Sprache, treffen halt immer nur einen Ausschnitt der Realität.