Montag, 21. Juni 2021

Pömmelte

Bei Pömmelte denke ich an Bommel, an einen Pompom an der Übergardine, an mich beömmeln. Aber nichts dergleichen. Pömmelte ist ein Ort in Sachsen-Anhalt.

Ein Ort, an dem bei Überfliegungen und LIDAR-Scan-Aufnahmen 1998 eine riesige Grabenstruktur sichtbar wurde. Die Ausgrabungen seit 2005 zeigen eine spätneolitsche-bronzezeitliche Kreisgrabenanlage, ähnlich und zeitgleich mit Stonehenge, nur ohne die Steine, ganz aus Holz und Erde.


Kreisgrabenanlage sagt genau das: eine Anlage mit einem kreisförmig angelegten Grabensystem. Funktion erstmal unbekannt. 

Ein Ringheiligtum, wie der momentane Begriff lautet, ist ein ritueller Ort in Form eines Rondells. Der nicht Tempel oder Kirche heißt, sondern Heiligtum. Weil wir keine Ahnung haben, welche göttlichen Mächte unter welchem Namen hier verehrt wurden. Unter freiem Himmel. Dass Pömmelte ein Ringheiligtum ohne Dach ist? Je nun, keine Befunde auf mehr Holz für eine Dachkonstruktion wurden gefunden und Stonehenge hat auch kein Dach. Konnten die denn damals schon 110 m Dachkonstruktion bauen? Ich weiß es nicht, mit genug Zwischenpfosten sicherlich. Bis zu den Griechen und Römern geht die Forschung eigentlich von Heiligtümern ohne Dach bzw. Höhlenheiligtümern aus. Ja, ich weiß, Ägypten, Inkas und Maya, Mesopotamien, der Tempel in Jerusalem. Alles mit Dach oder Pyramide. Aber in Europa, in Mitteleuropa, in Mitteldeutschland? Die Kelten hatten wohl heilige Haine, also Wald, Bäume in Gruppen, ohne Dach. Was die Germanen hatten? Keine Ahnung. Müsste ich recherchieren.

Pömmelte ist locker 2000 Jahre älter. Glockenbecherkultur, Schnurkeramik, Aunjetitzer Kultur. 2.800 bis 1600 v.Chr., so Pi mal Daumen. Das sind die Namen für die Kulturen, auf die die in der Anlage in den Schächten und Grube gefundenen Keramikscherben hinweisen.


Blick von Aussichtsturm auf die rekonstruierte Anlage. 


Umzeichnung der Grabungsbefunde.


Nun kommt bei archäologischen Ausgrabungen ja immer nur das zum Vorschein, was im Boden liegt. Pfostenlöcher, Baugruben, Grabgruben, Abfallgruben, Abfallschächte, Opferschächte. Das zu interpretieren ist schon eine Herausforderung. Die ganz große Kunst ist die Rekonstruktion. Denn wer weiß schon wirklich, wie hoch die Pfähle der Palisade auf dem Wall waren und ob sie farbig mit verschiedenen Mustern bemalt und/oder mit Schnitzereien überzogen waren. Oder über welchen beiden Pfosten der Querbalken lag. Analog zu Stonehenge würde ich sagen. Sagen das auch die Leute, die Pömmelte rekonstruiert haben? Es ist so leicht zu glauben, genau so sah es aus, weil es jetzt so aussieht.

Pömmelte war mindestens 500 Jahre ein Kultplatz, ein Platz, an dem Religion, Spiritualität, ausgeübt wurde. Was hat sich in unseren Kirchen in 500 Jahren nicht alles geändert, ich denke nur an die Reformation, barocke und moderne Ausstattung. Alles Christentum...









Mich hat dieser Fundplatz und seine Rekonstruktion fasziniert. Ich habe mir diverse archäologische Fachliteratur zu Gemüte geführt, habe Tagungsberichte, Grabungsvorberichte und Teile der ersten Doktorarbeit dazu gelesen. Ich könnte euch jetzt zutexten mit Details ohne Ende. Details zu den knapp 15 Gräbern mit Bestattungen von Männern, Details zu den Schächten/Schachtgruben, mit vor allem Skelettteilen von Frauen und Kindern. Mich aufregen über geschlechterblinde Interpretationen (eigentlich eher patriarchtsblinde Interpretationen). Die Gräber werden als statushoch angesehen, die Befunde in den Schachtgruben gehen interpretatorisch Richtung Menschenopfer. Ich behaupte mal, Skelette hochrangiger Frauen wurden nach ihrem Tode als Ahninnen analog zu katholischen Heiligen als Reliquien verehrt, um mal eine andere Interpretation anzudenken. Als chthonische Göttin-Vertreterin finden sie ihren Platz in einer künstlichen Höhle als Schachtgrube. Nur weil im Christentum ein Begräbnis in der Nähe zum Altar/Heiligtum als statushoch gesehen wird, ist das nicht allgemeingültig. Auch Körpergräber oder Erdbestattung muss nicht das beste sein. Ihr seht, ich kann mich stundenlang darüber auslassen.


Nach den Befunden kann ich zustimmen, dass der Ort rituell aufgelöst wurde, analog einer De-Sakralisierung einer Kirche. Heute macht die Stimmung in Pömmelte den Eindruck eines Fest- und Tanzplatzes, mit Assoziation Musik, Theater, Festival. 



Aufgrund der Hauptöffnungen, der größeren Durchgänge, im Ringheiligtum in Pömmelte, nimmt man an, dass hier die Zwischenviertfeste wie Lichtmess, 1. Mai/Walpurgis, Maria Himmelfahrt/Kräuterweih/Schnitterin und Allerheiligen (aka Imbolc, Beltane, Lughnasadh und Samhain) gefeiert wurden. Angegeben sind auf der Umzeichnung die Sonnenuntergänge an Walpurgisnacht und Schnitterin und die Sonnenaufgänge an Lichtmess und Allerheiligen. Die Sonnenuntergänge an 1. Februar und 1. November, die Sonnenaufgänge am 1. Mai und Anfang August, die sind nicht angegeben. Obwohl da auch Durchgänge zu erkennen sind... 


Um das Ringheiligtum kommt Stück für Stück eine größere Siedlung zutage. Wenn es sich um einen zentralen heiligen Ort handelt, erhöht das die Vermutung, dass dort auch die anderen Jahreskreisfeste gefeiert wurden. Die Umzeichnung benutzt die keltischen Worte, ich die christlichen bzw. modernen Worte für Feste im Jahreskreis, angelehnt an einen bäuerlichen Kalender.
Doch die Kelten, keltische Religion, (soweit man was darüber weiß), war schlappe 1000 Jahre später ...
Und die modernen Wicca-Jahreskreisfeste sind nochmals 2000 Jahre später.


Wie vage, wie unterschiedlich die Interpretation und Nutzung eines Kultplatzes sein kann, zeigt mir die christliche/katholische Kapelle von Degerndorf am Starnberger See. Sie wurde nach 1945 erbaut als Dank für die Verschonung des Ortes durch Bombenangriffe im 2. Weltkrieg. Genutzt wird sie regelmässig von einem Teil der Einheimischen zum Chanten, also Singen von Mantras nicht christlicher Religionen, und zum Feiern der Sommersonnenwende mit Tanz und Musik. An Johanni (24.6.), der christlichen Überprägung der Sonnwendfeier.









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