Samstag, 23. Mai 2020

Corona-Chroniken

Der Blog ist im Augenblick still. Nicht weil ich zu wenig erlebe, sondern weil dass, was ich erlebe, (noch) zu intensiv ist, um in Worten ausgedrückt zu werden. Vielleicht auch nicht geeignet für Öffentlichkeit ist.

In meinem Umfeld gibt es Klagen, Bemerkungen, dass zu wenig passiert, dass es nichts zu berichten gibt, weil ein Tag dem anderen gleicht. Die Dienstreisen fallen weg, die Events finden nicht statt. Social Distancing heißt, man sieht keinen mehr persönlich, auch die Kolleg*innen nur noch per Telefon- oder Videokonferenz.
Ich finde nicht, dass zu wenig passiert, ich finde nicht, dass ein Tag dem anderen gleicht. Zum einen passiert ja doch einiges. Zum anderen weil in mir durch die Zeit für mich und die Ruhe Prozesse angestoßen werden, die ich im lärmenden normalen nichtcorona Alltag all zu gerne weggedrückt hätte. Geht ja. Die Aussenreize sind sonst so stark, die Welt so groß und bunt, da muss ich mich nicht mit mir und meinen tieferen Untiefen auseinandersetzen. Doch 10 Wochen Homeoffice, 10 Wochen keine persönliche Berührung, kein Hautkontakt, nicht mal ein Handschlag. Babys sterben, wenn sie nicht berührt werden. Das bringt mich in die - heilsame - Krise.

Durch die Extremsituation ist Zeit, sich mit mir selbst auseinanderzusetzen. Mit meinen Ängsten und meinen Sehnsüchten. Ist Zeit, mir klar zu werden, über den Weg, den ich nach Corona weitergehen will. Nutze ich die Zeit, um die vielen Fäden aufzunehmen, die ich gesponnen habe, um Spiritualität zu leben. Und so gehe ich gestärkt aus dieser schwierigen Zeit hervor. Weil ich mich meinen Ängsten gestellt habe. Dinge zum Abschluss gebracht habe, Abschied genommen habe. Klarheit gewonnen habe. Dinge tue, die ich mir lange gewünscht habe. Es geht mir meistens gut mit dieser hohen Intensität. Aber sie produziert keine Blog-Texte, kaum Handybilder.

Vielleicht finde ich deshalb den arte-film Corona-Chroniken gleichzeitig gut und schwach. Weil meine 70 Tage Corona-Situation soo intensiv waren. Corona-Chroniken: Handyfilme von verschiedensten Menschen aufgenommen, zusammengesetzt von der Regisseurin Elke Sasse. Eindrückliche Bilder, das Leid der spanischen Krankenschwester, die eine Sterbende begleiten muss, da es nicht genug Intensivbetten gibt, die ganz klar die prekären Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen anspricht, der italienische Rettungswagenfahrer, der das Schlusswort hat, in dem er seine Erleichterung ausdrückt, dass der Notruf "nur" ein gefallenes Kind ist (was in nicht Corona-Zeiten die größte Katastrophe ist), der Künstler aus Brasilien, der Krebskranke aus dem Iran, der deutsche Lastkraftwagenfahrer, die australische Forscherin für Anti-Corona-Medizin  in Frankreich, besonders eindrücklich das afghanische Flüchtlingsmädchen in einem Camp in Griechenland. Auch gut fand ich die französischen und deutschen Untertitel gleichzeitig. In der einen Stunde habe ich mehr Französisch aufgefrischt als an einem Wochenende in Paris.

ABER: wo ist die alleinerziehende Mutter, die neben Homeoffice auch noch Homeschooling stemmen muss, und das am besten sowohl aus Frankreich, als auch aus Spanien, Italien und Deutschland, und gerne auch aus Brasilien, Iran, Russland und dem Flüchtlingscamp. Was macht das mit Paaren, mit Familien, so eng miteinander zu leben so lange Zeit? Was ist gleich, was ist anders?
Wie ist das auf den Dörfern, in den Kleinstädten? Der Film zeigt nur Menschen in Großstädten. Auch da: Was ist gleich, was ist anders?
Es gäbe noch viele Corona-Chroniken zu berichten. Und mich interessieren auch die Folgen. Was verändert sich durch die Erlebnisse in dieser Zeit?


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