Sonntag, 19. Mai 2019

Judenverfolgung via Einkommenssteuer

Einmal im Monat ist bei uns an der Hochschule Studium Generale. Diesmal eine Professorin aus Berlin mit Schwerpunkt Steuerrecht, Regine Buchheim.



Sie stellt ihre Forschungen zur Rolle des Reichsfinanzhofes bei der Enteignung jüdischer Deutscher im dritten Reich vor. Ich freue mich, das sie konsequent nicht von Juden spricht, sondern von jüdischen Deutschen. Denn genau darum geht es. Deutsche jüdischen Glaubens, denen die Richter des Vorläufers des Bundesfinanzhofs durch entsprechende Auslegung der Steuergesetze den finanziellen Tod bringen. Fiskalische Diskriminierung bis zur Enteignung. Gesetze, die bis heute gültig sind, die nur durch ein bis zwei zusätzliche Gesetze bzw. Gesetzestexte ergänzt ihre tödliche Wirkung entfalten. Ich bin beeindruckt von ihr, wie differenziert und klar sie die Gesetze, die gesetzliche Lage und die Möglichkeiten der damaligen Zeit auseinander hält.

Meistens redet sie über das Einkommenssteuergesetz. Das Einkommenssteuergesetz von damals, das bis heute gilt, weil es handwerklich sauber gemacht und gut durchdacht ist. Weil es, soweit es geht, gerecht und sinnvoll ist. Die Paragraphen von damals sind die gleichen Nummern wie heute. Und dann gibt es zwei andere Gesetze. Reichsfluchtsteuer hieß das eine damals. Das gibt es inhaltlich so ähnlich  heute auch noch. Du darfst nicht einfach deinen Wohnsitz ins Ausland verlagern, dein Geld, dass du in Deutschland verdient hast, mit Wohnsitz in Deutschland, nicht unversteuert ins Ausland mitnehmen. So weit so gut. Knackpunkt sind die Einkommensgrenzen. Und die wurden im Verlauf des Dritten Reiches soweit runtergesetzt, dass auch mittlere Einkommen betroffen waren, nicht mehr wie vorher und nachher wirklich Reiche. Statt Kapitalfluchtsteuer Personenfluchtsteuer. Was so ein kleiner Zusatz ausmacht. Und sie zeigt es in ihrem Vortrag  (und beschreibt es im zugehörigen Artikel) präzise. Anhand der Gerichtsurteile des Reichsfinanzhofes. Das macht es so plastisch. Und so bedrückend. Es lässt den damaligen Zynismus der urteilenden Richter glasklar erkennen.

Das andere Gesetz, über das sie spricht, ist das Steueranpassungsgesetz. Und auch hier ist der damalige Zynismus glasklar zu erkennen. Sie zeigt es am Beispiel der Gemeinnützigkeit. Wenn jüdischen Schulen, Kindergärten, Altenheimen etc. die Gemeinnützigkeit aberkannt und sie die letzten vier bis fünf Jahre Steuer nachzahlen sollen, sind sie pleite. Und ich als Finanzbeamter habe nichts Unrechtes getan, denn das Steueranpassungsgesetz von 1934 deckt mich ja. In Paragraf 1 steht "Die Steuergesetze sind nach nationalsozialistischer Weltanschauung auszulegen." Halleluja, was ein Freibrief. Und dann wird heute überlegt, nach welchen Kriterien Attack und Campact (und Greenpeace und wie sie alle heißen, die sich für etwas politisch nicht opportunes einsetzen) gemeinnützig sind ...
Bis auf diesen ersten Paragraphen ist das Gesetz unter dem Namen Abgabenordnung nämlich noch da.

Immer wieder betont sie, dass vor den Deportationen der finanzielle Steuertod längst eingetreten war. Sie führt weitere konkrete Fälle an, eben weil sie selbst Steuerjuristin ist und die Prozessakten wirklich versteht. Ich kann nur empfehlen ihren Artikel in Gänze zu lesen:
Regine Buchheim (2018), Die antisemitische Rechtssprechung des Reichsfinanzhofes - eine Analyse der Prozessakten aus der NS-Zeit. In: Steuer und Wirtschaft  - Zeitschrift für die gesamten Steuerwissenschaften, S. 366-383, 2018.

Und zum zusätzlichen Verständnis: Christine Feltes (2018), Zur Rechtssprechung des Reichsfinanzhofs in der NS-Zeit - Ende eines Tabus? Anlässlich des 100-jährigen Jahrestags des RFH/BFH. ebd. 359-365.

Mich bewegt nach diesem Vortrag zweierlei: wie man als Richter in dem Sinne belastet sein kann, weil man sich zwar an die Gesetze hält, sie aber rassistisch, restriktiv und menschenfeindlich auslegt UND dass rein (steuer)rechtlich relativ schnell wieder bestimmte Ausgrenzungskriterieren gegen politisch missliebige Gruppen eingeführt werden könnten.


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