Donnerstag, 16. Mai 2019

The Favourite

The Favourite - Die Favoritin. Da laufen in meinem Kopf gleich zig Filme ab, vorzugsweise Richtung Mätresse, Madame Pompadour, zwei Frauen buhlen um die (erotische und politische) Macht bei einem König, hier Ludwig XIV. Dazu Bilder von pompösen Schlössern, Kutschen, Damen in großen, historischen Kostümen. Alles richtig und zugleich so falsch. Ja, zwei Frauen in wirklich tollen historischen Kostümen buhlen um die geliehene Macht. Nur ist der König eine Königin, Queen Anne. Der Film spielt im England des beginnenden 18. Jahrhunderts, und die Bilder erinnern immer wieder an Gemälde, Stilleben der Zeit. Und vermitteln gleichzeitig ein klaustrophobisches Bild der Räume, Gänge und Gemächer (die Kameraführung ist der Hammer! Fischaugenaufnahmen in diesem historischen Ambiente). Selbst das große Zimmer der Königin ist zugeknallt mit Möbeln, Gemälden, Vorhängen. Beeindruckend die Nachtaufnahmen mit den ganzen Kerzen (und Kerzen waren höllisch teuer zu der Zeit, es ist der Wahnsinn, wieviele in dem Film brennen, und es wird nicht wirklich hell im Raum), auf jeden Fall lassen mich die ganzen Kerzen zusammen zucken, ich befürchte ständig den Ausbruch eines Feuers.

Die Geschichte ist so klassisch wie ungewöhnlich. Zwei Frauen liefern sich einen Machtkampf um die Gunst, also klassisch. Nur ist es eine Königin, eine Frau, um deren Gunst sie kämpfen, wie ungewöhnlich. Es ist ein wahres Vergnügen, den beiden Protagonistinnen zuzugucken, Rachel Weisz als Sarah Churchill, Lady Marlborough, die etablierte Favouritin, Freundin der Königin seit Kindertagen, Emma Stone als Abigail Hill, später verheiratete Masham, die junge Cousine, die neu an den Hof kommt. Und gleichzeitig ist es gänsehauterzeugend, wie beide sich in den Machtkampf verstricken, wie beide grausam agieren aus Notwendigkeit. Denn die wahre Macht geht von der Königin aus.

Sowohl Rachel Weisz als auch Emma Stone sind Oskar-Preisträgerinnen, waren dieses Jahr in ihren Rollen in The Favourite jeweils für die beste Nebenrolle nominiert. Doch gewonnen, und das verdient, hat ihn Olivia Colman in ihrer Rolle als Queen Anne. Olivia wer? Ich kann mich nicht erinnern, je einen Film mit ihr gesehen zu haben. Aber auch auf der Oskar-Verleihung habe ich sie nicht in ihrer Rolle erkannt. Vielleicht, weil sie da nicht so pottenhässlich rüberkommt. Die Favoritinnen sind in fast jeder Szene geschniegelt und gestriegelt, mit obercoolen Kostümen unterwegs, doch die Königin schlurft hässlich, schlecht gekleidet, oft depressiv und meistens im Nachthemd durch ihre Gemächer. Doch sie hat die Macht inne, und in entscheidenden Augenblicken besinnt sie sich darauf.

So echt, wie das Interieur gestaltet wirkt, so zeitecht wirkt die meiste Musik. Händel, Bach, Purcell, ich erkenne die höfischen Gassenhauer der damaligen Barock-Zeit. Doch einige der dramatischsten Szenen sind begleitet von moderner klassischer Musik, die in ihrem typischen, fast schon experimentellen Charakter genau wie die moderne, unerwartete Kameraführung dem Film Tiefe verleiht. Den Machtkampf der beiden Favoritinnen mit den darauf folgenden Charakterdeformierungen schmerzhaft intensiviert. Ich kann mich mit keiner der drei Frauen identifizieren. Jede ist für sich ein Monolith, mit Facetten und Ausdifferenzierungen, die mich schmerzen. Auch schmerzhaft schön: die Liebesgeschichte zwischen Queen Anne und Lady Marlborough. Wie keine aus ihrer Haut kann, trotz der engen Freundschaft miteinander. Ganz übel: die meisten Männerrollen. Egal welches Geschlecht, wenn keine reale Macht möglich ist, wendet man sich absurdem und "verspieltem" Zeitvertreib zu. Und ebenfalls schräg: das britische Parliament um 1700 zu sehen, mit seinen Torys und Whigs, in dem rechteckigen Raum mit den Bänken. Damals war das funkelnagelneu und noch Platz zwischen den Leuten.

Also: der Film ist unbedingt sehenswert. Nicht nur weil er historisch echt ist und viel Ambiente der damaligen Zeit vermittelt, sondern auch, weil er Deformation durch geliehene Macht bzw. durch Abhängigkeit zeigt, und das außerhalb jedweder Geschlechtergrenzen.
Die Geschichte ist authentisch, weil historisch korrekt. Und sie ist authentisch, weil grandios verfilmt. Gute Geschichte, gutes Drehbuch, richtig guter Regisseur, klasse Soundtrack, super Kostüme.
Der ganze Film ist ganz großes Kino.

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