Sonntag, 7. Juli 2019

Kurische Nehrung


Die Stadt Kaliningrad habe ich nur im Durchflug gesehen. Was vielleicht auch daran lag, dass der Reiseführer immer in der Vergangenheit schwelgte, und mir nicht das JETZT von Kaliningrad erschloss. Insofern war mir schon in der Vorbereitung klar, Kaliningrad wird nicht viel von mir sehen, ich will raus in die Natur.  Raus in die Natur heißt konkret: Kurische Nehrung. Russischer Nationalpark. Und Weltkulturerbe.

Ein paar Mitsegler wollten mit, also sind wir kurz nach halb elf von der Alex zu Fuß zum Bahnhof gestartet. Zum Nordbahnhof. Mein Internet hat nicht funktioniert in Kaliningrad, also haben wir es auf die gute alte Weise gemacht: Leute gefragt, wie es funktioniert, und dann vor Ort weitergefragt bzw. auf uns zukommen lassen. 

Allein der Bahnhof war schon ein Erlebnis. Dort gibt es nämlich, wie am Flughafen, einen Einlassscanner für Taschen und Menschen. Und wenn man drin ist, kommt man nicht mehr raus. Was aber unpraktisch ist, denn der Fahrplan hängt außen am Bahnhof. Innen werden nur die Züge der nächsten Stunde angezeigt. Dafür ist der Fahrpreis spottbillig. Knapp 60 Rubel, nicht mal ein Euro für eine halbe, dreiviertel Stunde Zug fahren. Und immer Moskauer Zeit im Zug, egal wo in Russland man sich befindet.


Einlasskontrollen wie am Flughafen.

Moskauer Zeit im Zug.

Gar nicht so einfach Ein- und Auszusteigen. Bei der steilen Treppe kommt der Handgriff sehr zupass. 
Zelenogradsk (Granz auf deutsch) ist der Seekurort an der Wurzel der Kurischen Nehrung. Dorthin war das erste Ziel.

Insgesamt hatten sich mir sechs Leute angeschlossen. Meine Überlegung war ja in Zelenogradsk einen Guide zu finden, aber ohne Internet war das ein bisschen schwierig. Ich war dann soweit, dass ich dachte, ich miete ein Taxi, das mich dann rumfährt. Aber – wir waren ja nun zu siebt. Also zwei Taxis. Jedoch – das Glück ist mit den Abenteuerlustigen. Am Taxistand stand tatsächlich ein Großraumtaxi. Und das stand auch noch da, nachdem wir lecker Dönerwraps essen waren.



Russische Frauen in meinem Alter und älter verkaufen aus ihrem Garten.

Nun erkläre mal wo du hinwillst, und handle einen Preis aus, ohne die Sprache des Anderen zu verstehen. Und auch nicht eine gemeinsame Sprache zu finden. Der Fahrer hatte einen laminierten Plan der Nehrung, allerdings auf Russisch, doch anhand der Abstände der Orte konnte ich erkennen, wo ich hintippen musste. Beim Preis: ein LOB auf die arabischen Zahlen. Russland hat zwar kyrillische Buchstaben, aber arabische Ziffern. In den Taschenrechner getippt oder auf einen Zettel geschrieben wissen beide Seite, was sie meinen.


Und dann sind wir zum tanzenden Wald gefahren. Den wollte ich auf jeden jeden Fall sehen. 1945 sind alle Bäume noch normal gewachsen, dann kam das Militär, und als 1992 die Nehrung wieder zugänglich war, hatten auf 300 x 300 m die meisten Kiefern einen ganz seltsamen Drehwuchs. Die Einheimischen nennen das Waldstück auch den betrunkenen Wald. Doch die Bezeichnung Tanzender Wald finde ich viel schöner. Ich stelle mir vor, wie die Bäume in Vollmondnächten Ausdruckstänze vollführen, vielleicht Eurythmie aufführen, modernes Ballett oder Biodanza, wer weiß das schon. Und dann kommt der Gongschlag, von ferne eine Kirchturmuhr, und alle erstarren in ihrer Tanzpose.





Wir sind dann noch zu Müllers Höhe gefahren. Denn das die Nehrung so aussieht wie sie aussieht, ist Menschenwerk. Als sich die Nehrung nach der Eiszeit langsam bildete, kamen irgendwann vor 4000 Jahren auch die ersten Baumsamen und haben den Sand festgehalten. Doch die mittelalterliche Kolonisation durch die Ordensritter ließ den Wald schrumpfen, und der Nordische Krieg brauchte Segelschiffe en masse, das hat dem Wald den Rest gegeben. Ohne Bewuchs war der Sand nicht mehr zu halten und bildete Wanderdünen, die bis zu 3 m pro Jahr zurücklegen konnten. In den Annalen sind mehrere Dörfer als aufgegeben erklärt, sowie sind Beispiele zu finden, wie das neue Dorf nach 11-12 Jahren auch wieder verschüttet wurde. Im 19. Jahrhundert versuchten die Menschen die Wanderdünen zu stoppen, mit wechselndem Erfolg und immensen Kosten. Erst Frank Ephta, der damalige Dünenmeister, hatte dann im 19. Jahrhundert den Dreh raus. Pflanzlöcher mit Geschiebemergel füllen, Kiefer einpflanzen, das ganze drumherum mit Matten abdecken. Der Aussichtspunkt ist auf einer der ersten von ihm befriedeten Dünen, mit einem obercoolen Blick über Ostsee und Haff. 




Der Taxifahrer hatte die ganze Zeit russiche Rock- und Popmusik laufen. Es irritiert ganz schön, wenn man auf einmal „Cherry Cherry Lady“ auf russisch hört. Du erkennst die Melodie und den Song, aber du verstehst gaar nichts.

Erst auf der Rückfahrt sehe ich das Schild mit dem Unesco-Symbol. Ich habe wieder einen Welterbepunkt! Die kurische Nehrung lohnt wirklich einen Besuch.

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