Samstag, 25. Januar 2020

Nuttenhunde

Auf meinem Fensterbrett in der Küche stehen zwei Porzellanhunde und gucken mich an. In meiner Wohnung, die sonst eher von Kunsthandwerk geprägt ist, ein ungewohnter, kitschiger Anblick.



Ich liebe diese Hunde. Denn sie haben Geschichte, erzählen Geschichten.

Geschichte 1:
Eine gute Freundin von mir fährt seit Kindertagen bis heute jedes Jahr im Sommer nach Fanö. Eine dänische Insel in der Nordsee mit Seefahrertradition. Im dortigen Heimatmuseum gibt es eine Abteilung, in der die Mitbringsel der Seeleute ausgestellt sind. Mich faszinieren die sogenannten Chinadogs. Dabei waren die gar nicht aus China, sondern aus Staffordshire in England. Meine sind echt aus China, weil heutzutage sowas nur noch in China produziert wird. Bzw. echt aus Fanö, weil ich sie im dortigen Heimatmuseum gekauft habe. Auch als Erinnerung an meine Fanö-Urlaube seit dem Studium und meine Freundin.

Geschichte 2:
Zwischen 1830 und 1870 war Porzellan mit Goldbesatz aus England DAS Mitbringsel von Seefahrern für ihre zuhaus gebliebenen Familien an der Nord- und Ostseeküste. Ursprünglich wurde Porzellan im 17. und 18. Jahruhundert aus China importiert, doch hat sich mit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert eine blühende Porzellanproduktion in England entwickelt. Und um 1850 kommen die Hunde in Mode. Es gibt sie als Pudel und als Möpse, schwarz gefleckt, rot geschekt, mit Gold, ohne Gold. Meine sind eine dezente Variante.

Geschichte 3:
Vor allem die Schiffsjungen brachten ihren Müttern diese Hunde als Mitbringsel bzw. Souvenirs von ihrer ersten Reise mit. Sie wurden von den Frauen der Fahrensleute auf die Vertikos und Kommoden gestellt, in Gruppen von zwei, drei oder mehr Paaren. Weil in den Dörfern und Küstenorten eigentlich der komplette männliche Teil des Konfirmandenjahrgangs auf Seefahrt ging. Richard Wossidlo hat schöne Geschichten gesammelt, wie die Mütter die Hunde wertschätzten und bei Sturm die Figuren in die Hand nahmen, in Sorge um ihre Söhne auf See.
Und so erinnern mich die Hunde an meine Töchter, die auch in die weite Welt gegangen sind.

Geschichte 4:
Jetzt erst kommen die Nuttenhunde ins Spiel. Diese Bezeichnung für die Hunde gibt es nur zwischen Kiel und Rügen, obwohl die Hunde von Holland über Dänemark bis Danzig, an der ganzen Nord- und Ostseeküste, verbreitet sind.
Vermutlich haben Badegäste aus der Stadt, Yachtsegler oder Maler aus den Malkolonien diese Geschichte nach 1900 aufgebracht: dass die Hunde von britischen Hafenprostituierten an die Seeleute gegeben worden seien. Oder noch böser: Je nachdem, ob die Hunde nach drinnen oder draußen schauten, waren sie ein Signal für den Liebhaber.
Alles Humbug: in ihrem urspünglichen Kontext standen die Hunde nie im Fenster.

Uhh.. Arroganz der Städter, Unwissenheit und Klatschsucht gepaart.

Woher ich das alles weiß? Von Wolfgang Rudolph, Seefahrer-Souvenirs. Steingut, Fayence und Porzellan aus 3 Jahrhunderten. Kulturgeschichtliche Miniaturen. Edition Leipzig 1982, S. 87-88; 113-115; Abb. 83.84; 86-90; 93.

Ich eigne mir die Hunde für mich, auf meine Weise, an. Wenn ein oder zwei Hunde nach draußen schauen, sind die Mädchen zuhause, wenn nicht, schauen mich die Hunde an und erinnern mich sie.





2 Kommentare:

  1. Geschichte 5:
    Vor drei Jahren begegneten mir im Museum Gulbenkian (Lissabon) in einer Vitrine ein Paar chinesischer sitzender Drachen mit zur Seite gedrehten Köpfen, 16. Jahrhundert. Haltung und Größe haben mich sofort an die aus Fanö bekannten "Fensterhunde" (19. und 20. Jh.) erinnert. Bisher verfolgen die historischen Forschungen zu Seefahrersouveniers des 19. Jahrhunderts die Spur nur bis zu den Staffordshire Dogs. Aber woher kommt die Idee des sitzendes Hundepaares? Was waren die Vorläufer? Forschungen dazu sind mir (noch) nicht bekannt. Mir gefällt jedenfalls die Ahnung, dass es sich hier um ein Glied in der Kette des Ideen- und Kulturtransfers quer über den ganzen Globus handelt.

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  2. Ich bin nicht die einzige, die sich mit den Hunden schon mal beschäftigt hat:

    https://nixwiekunst.wordpress.com/2013/06/10/kapitanshunde/

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