Montag, 13. Februar 2017

Unangenehme Wahrheiten Teil 1


Berlinale 2017 Sektion NATIVe. Drei Filme habe ich jetzt geguckt, nachher kommt der vierte. Die Arktis ist riesig. Allein Baffin Island ist doppelt so groß wie Großbritannien. Nowaja Semlja ist mit der Nord- bzw. Südinsel die viert- und fünftgrößte Insel Europas. Politisch gesehen befinden wir uns in Finnland/Norwegen, in Russland, in Kanda, den USA und Dänemark. Faktisch gesehen befinden wir uns bei vielen kleinen Völkern, mit eigener Sprache, eigener Kultur, mit einem Alltagsleben, dass sich von dem Leben in den Hauptstädten dieser Staaten ziemlich unterscheidet. Oder eben doch nicht.  "I´m a town Inuit" sagt Alethea Araquq-Baril in einer Szene des Films "Angry Inuk". Der Jäger, den sie begleitet, hat bei tiefen Minus-Temperaturen nur seinen Parka an. Sie ist eingehüllt in Robbenfell inkl. einer Wolfsfell-Mütze, damit sie nicht friert. In den Anfangsszenen schießt der Jäger eine Robbe, holt sie an Land, zerlegt sie, und bringt sie dann nach Hause. Nach Hause, in die Küche, in das Wohnzimmer einer Wohnung, die so oder anders auch bei uns auf dem Land zu Hauf vorkommt. Seine Tochter hängt sich ans Handy, informiert die Community, das Dorf, dass Fleisch bei bei ihnen ist, alle kommen, um sich ihren Anteil zu holen. Während die Frauen im Wohnzimmer, zwischen Bücherregalen und Couchtisch auf der Plastikplane über dem Teppichboden das Fleisch mit dem Uluk zerlegen, postet er bei Facebook. Ganz traditionell: das Uluk, das Frauenmesser der Inuit. Schon das Steingerät hat den geschwungenen Bogen der Schneide, hat den Griff genauso wie die Uluk-Metallmesser des 18./19. Jahrhunderts und heute. Fleisch zerlegen ist und war Frauenarbeit. Fleisch zu teilen ist und war Sitte, Brauch, Pflicht und Vorrecht in der Inuit-Kultur. Ganz modern: der Laptop auf dem Schreibtisch daneben. Und nicht geschlechtsspezifisch zugeordnet. Der ganze Film zeigt immer wieder das jetzige Leben der Inuit in Kanada, auf Baffin Island. Nix von Romatik, sondern Alltag. Alltag bedeutet für uns alle, dass wir in monetäre Kreisläufe der globalisierten Welt eingebunden sind. Ohne Geld läuft die Chose nicht. Das gilt für mich, das gilt auch für die Inuit. Alethea Araquq-Baril wächst in Armut auf. Irgendwann beginnt sie sich zu fragen, warum. Und Stück um Stück lässt sie uns an ihren Erkenntnissen teilhaben. Bargeld kommt in die Region Nunavut auf zwei Wegen. Kam in die Region auf zwei Wegen. Der Verkauf von Robbenfell, und die Ausbeutung der Bodenschätze. Seit die EU einen Bann auf Robbenfell gelegt hat, kommt kein Bargeld mehr auf diesem Weg in die Region. Sie erklärt anhand einer Grafik, wie durch den Verkauf von Robbenfell Bargeld für den Kauf von Benzin für die Schneemobile in die Region kommt, damit die Jäger Robben jagen können, deren Fleisch die Gemeinschaft ernährt. Pflanzliche Lebensmittel wachsen auf Baffin Island nicht, alle derartigen Lebensmittel müssen aus dem Süden teuer (und unökologisch) eingeführt werden. Schlittenhunde gibt es nicht mehr, weil die kanadische Regierung in den 50er und 60er Jahren im Zuge der Assimilierungspolitik die Hunde hat schlachten lassen. Damit ist zuviel Wissen verloren gegangen, als dass man das jetzt einfach wieder so zurück holen könnte. Der Film hat ganz viele Wissen vermittelnde Grafiken zu wirtschaftlichen Kreisläufen, zu Hintergrundinformationen zum Leben in Nunavut und anderswo, auch der EU. Ohne auch nur im geringsten zu belehren. Sie stellt die Fakten vor, erklärt komplizierte Dinge verständlich.

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