Samstag, 5. September 2020

Andere Zeiten und andere Regionen

Es gibt in der Archäologie auch andere Zeiten als die Eisenzeit. Ich habe vor allem Steinzeit studiert, von ganz früher Menschwerdung bis Beginn des Neolithikums, also der Bauern-Steinzeit. Jäger und Sammlerinnen, Jägerinnen und Sammler rauf und runter. Meine erste Exkursion im Studium ging nach Nordhessen, so dass ich jede Menge Fundorte wiedererkenne. Doch wir haben ja diesmal eine andere Fragestellung und fahren an fast allen vorbei. An fast allen. Ein bisschen kultisches Neolithikum gucken wir uns doch an.

Einzig für mich bereits bekannter Fundort ist die Steinkiste von Züschen mit ihrem Seelenloch und innenliegenden Steinritzungen. Ob wirklich vor über 6000 Jahren schon mit Ochsengespann gepflügt wurde, wie eine der Steinritungen andeutet? Keine Ahnung.

Der vermutlich neolithische Menhir in Langenstein beeindruckt mich in seinem Ensemble mit der Gerichtslinde und dem evangelischen Kirchlein (mit einem ziemlich ungewöhnlichen Kreuzgewölbe).


Häkelkante der Altardecke in Langenhain. Feinste Frauen-Handarbeit. 


Natürlich der Wartberg, namengebend für die ebenfalls neolithische Wartberg-Kultur. Wir haben etwas Schwierigkeiten den richtigen Berg zu identifizieren. Durch einen Windbruch vor Jahren sieht er nicht mehr so gleichmäßig aus wie auf den alten Abbildungen.


Und immer wieder Kriegerdenkmäler für die toten jungen Männer der zugehörigen Dörfer. 1. und 2. Weltkrieg jeweils auf eigener Tafel. Oft sind die Namenreihen ungefähr gleich lang, mit Namen, die auch eine heutige Abiturklasse sein könnte. Totendenkmäler des Blutzolls zweier Kriege. Manchmal hängt auch noch eine Tafel des deutsch-französischen Kriegs von 1870/71 daneben. Jedes Mal denke ich: Nie wieder Krieg!

Die Freund*innen, die wir treffen, arbeiten an Forschungseinrichtungen der Archäologie. Wir bekommen wunderbare Geschichten aus dem Mittelmeerraum erzählt. Globalisierung ist keine moderne Erfindung. Menschen haben schon immer über den Tellerrand geschaut, und die schönen und die praktischen Dinge übernommen. Und so recherchiere ich im (schlechten) W-LAN der Ferienwohnung zu Selinunt und Tall ziraa. Auch Cäsar wird von mir in der Übersetzung von Gösswein über die Druiden (6,13) befragt, und wie war das mit Homer und der Datierung der Ilias?

Doch Hessen ist auch Gebrüder-Grimm-Land. In Amönau besuchen wir das Rapunzel-Haus. In den Illustrationen von Ludwig Richter ist dieses Gebäude die Vorlage gewesen.


Auf jeden Fall bin ich so intensiv in der Vergangenheit, dass ich jeden Tag, an jedem neuen Fundort wieder, völlig überrascht (und manches Mal geschockt) vom umgebenden 21. Jahrhundert bin.

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