Samstag, 5. September 2020

Archäologischer Survey zur Eisenzeit in Hessen

Urlaub, endlich! Durch Corona fühle ich mich so eingesperrt, so abgeschnitten von der weiten Welt, dass ich deutlich urlaubsreifer, wegfahrbereiter bin als sonst.

Meine Freundin aus dem Studium ist Archäologin und soll dienstlich von eisenzeitlichen Höhensiedlungen Fotos machen. Bzw. will sie einen Geländeeindruck bekommen, bevor es in die finale Phase einer Ausstellung geht.
Zu meinem großen Glück fragt sie mich, ob ich eine Woche mit ihr durch Hessen ziehen will. Will ich.

Und so gucken wir uns jeden Tag eine eisenzeitliche Höhensiedlung an, dazu mindestens einen anderen Fundplatz und/oder ein Museum oder auch zwei oder drei. Sie hat einen genauen Plan ausgearbeitet, den wir in weiten Teilen auch abarbeiten. Die Ferienwohnung liegt geschickterweise so, dass wir wie in einer Sternfahrt in alle Richtungen fahren können.

So sehen wir den Altkönig, den Christenberg, Amöneburg, den Dünsberg, die Altenburg bei Niedenstein, die Milseburg, den Glauberg. Jedesmal stapfen wir den Berg hoch, stromern durch den Wald, suchen Wälle und Grabensysteme, machen uns ein Bild von der Landschaft. Eisenzeitliche Höhenburgen bzw. Höhensiedlungen nehmen nämlich ziemlich viel Platz ein, 60 Hektar sind da nichts, und dann noch zwei Annexe dran gebaut, um die Quellen am Bergfuß zu schützen. Oder begucken rechteckige Holzbecken, die vermutlich als Zisternen gedient haben. Es muss eine kriegerische, eine gefährliche Zeit gewesen sein, wenn solche Wälle davon noch heute zu sehen sind. Denn die Wälle sind die Überreste von bis zu 6 m breiten Pfostenschlitzmauern, wo das Holz verrottet (oder beim letzten Angriff verbrannt) ist, so dass die Steine eben keine scharfkantige Mauer, sondern nur noch einen riesigen Wall bilden.

De bello gallico von Cäsar beschreibt um 50 v.Chr. das Ende der Zeit, die wir uns angucken, Homer mit der Ilias vermutlich den Anfang. Gedanklich bewege ich mich die ganze Zeit in der Hallstatt- und Latene-Zeit, also zwischen 800 und 50 v.Chr., meistens sogar nur in der Latenezeit, also 450-50 v.Chr., der Zeit, die landläufig mit den Kelten gleichgesetzt wird.

Die Fragen, die sich mir stellen, sind vielfältig. Wenn ich diese ganzen Massen an Wällen sehe, wo kam das ganze Baumaterial her. Klar, die Steine sind anstehendes Gestein, aber das Holz? Die Gegend muss ziemlich schnell entwaldet gewesen sein. Denn für alles andere, wie Häuser, die Wasserbecken, Zäune, Brennholz, Werkzeugstiele, Bögen, Pfeile, Holzkohle für die Eisenverhüttung und und und, brauchte es ja auch Holz. Und je nach Verwendung Qualitätsholz, eine bestimmte Holzsorte oder besonders gerader Wuchs oder ein Stammdurchmesser von 25-30 cm für die Posten. 2-3 km Wall brauchen Unmengen dieser Stämme, wenn alle 3-5 m ein Pfosten steht.

Wie sieht es mit der Wasserversorgung aus? Drei Monate ohne Essen, drei Tage ohne Wasser, drei Minuten ohne Luft führt jeweils zum Tod. Wasser ist essentiell für Menschen. Wenn 2000-4000 Menschen in so einer Siedlung gelebt haben, dann brauche ich viel Wasser, wenn der Feind mich belagert. In einigen der Höhensiedlungen sind Quellen bekannt. Am unteren Hang oder sogar am Fuß des Berges. Ich bin all diese steilen Wege hochgegangen. Das mehrmals täglich mit Wassergefässen, 10-20 Liter Wasser diese Hänge hochschleppen? Ich sehe mich in dieser Zeit als Magd, nicht als Fürstin, und spüre die Anstrengung in den Knochen. Und erst Wäsche waschen. Obwohl - in der Odyssee fährt Nausikaa, des Fürsten Tochter, mit dem Wagen zum Fluss, und wäscht mit den Dienerinnen die edlen Gewänder und Decken. Also kam man als Fürstin auch nicht immer drumherum, körperlich hart, Flecken aus der Wäsche zu schrubben. Vielleicht waren die Holzbecken ja zum Wäschewaschen da? Fragen über Fragen.

Wie war die Umgebung besiedelt? Die Wälle auf den Bergen sprechen für eine kriegerische Zeit, dennoch gab es auch im flachen Land, in der Umgebung, Talsiedlungen. Zweimal schauen wir uns Rekonstruktionen von Häusern an, einmal in Mackenzell den Keltenhof, einmal am Dünsberg Häuser hinter einer rekonstruierten Pfostenschlitzmauer. In den keltischen Höhensiedlungen sind die Häuser auf sogenannten Wohnpodien errichtet, Terassierungen für einen flachen Untergrund. In Mackenzell sind auch die modernen Häuser auf Wohnpodien angelegt, weil die Gärten und die Häuser sonst ziemlich schräg ständen.

Wie waren die Wege durch die Ebene, von Siedlung zu Siedlung? In einem Baggersee bei Kirchhain sind die Überreste einer keltischen Brücke ausgegraben worden, in Blickweite, 3 km entfernt von der Amöneburg. Davon ist natürlich nichts mehr zu sehen. Wir gucken uns stattdessen die mittelalterliche Brücke unterhalb der Amöneburg an. 

An einem anderen Tag gehen wir gleichsam kultisch baden in Heuchelheim an der Badestelle an einem weiteren Baggersee. Dort sind jede Menge Massenfunde als Waffen herausgekommen sind.

Natürlich gucken wir uns auch die zugehörigen Museen an. Jede Höhensiedlung hat im Prinzip ein zugehöriges Museum. Das interessiert mich nicht soo. Was mich aber beeindruckt: in Gießen ist ein keltischer Wendelhalsring ausgestellt, der aus dem Brandschutt des 2. Weltkriegs geborgen werden konnte. An ihm sind noch Glasreste angeschmolzen. Für mich ein klares Zeichen für "Nie wieder Krieg". Wenn die Zeit der Kelten so kriegerisch war, wie die umwallten und ummauerten Höhensiedlungen vermuten lassen, dann muss es auch zu dieser Zeit jede Menge kriegstraumatisierte Menschen gegeben haben, posttraumatische Belastungsstörungen und transgenerationale Vererbung von Trauma.

Am meisten beeindruckt mich der Altkönig. Vielleicht weil ich hier Hinweise auf ein Bergheiligtum ahne. Einige der Höhen sind bis heute kultische Orte, sprich auf ihnen steht eine Kirche oder Kapelle. Der Altkönig ist blank. Kein Gebäude, keine Kirche, kein Funkturm, kein Friedhof, keine Kneipe. Nur Natur und Ausblick.

Der Altkönig: Blick übers Land

Altkönig: Überreste der Pfostenschlitzmauern

Stromern durch den Wald

Amöneburg
Amöneburg

Rekonstruktion einer keltischen Pfostenschlitzmauer am Dünsberg

Wallsystem am Christenberg

Rechteckiges Holzbecken vom Dünsberg
Rekonstruktion einer eisenzeitlichen Höhensiedlung auf der Milseburg im Museum Fulda

Keltenmuseum Glauberg

Wandern, wandern, wandern

Ferien in Deutschland heißt nun mal nicht immer gutes Wetter
 
Im Museum immer brav mit Maske

Kein Kommentar nötig, oder?
Orientierung im Gelände

Mittelalterliche Brücke bei Amöneburg

Badestelle am Baggersee bei Heuchelheim aka keltischer Fundplatz

Es hat Spaß gemacht, wieder in die archäologische Fachwelt einzutauchen. Da weiß ich sofort wieder, warum ich das studiert habe. Abenteuerlust, Forscherinnenneugier, Natur und Kultur, alles dabei.

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