Samstag, 1. Juli 2017

Mikropolitk, Macht (und Frauen)



Ich sitze im Hotel Alte Canzley in Wittenberg. Eigentlich fängt jetzt, heute, hat schon längst angefangen, meine Weltkulturerbereise. Ich merke aber, ich muss meine Gedanken sortieren, meine Gedanken klären, meine Gedanken leeren von dem ganzen Input aus der Fortbildung vorgestern und gestern zum Thema Macht und Mikropolitik in Hochschulen. Außerdem schüttet es draußen. Es ist schon meine zweite Fortbildung zu dem Thema. 2011 haben wir uns im Projekt KarriereWege zwei Referentinnen unter dem Aspekt Frauen und Macht eingeladen, was sich dann als Schulung in Mikropolitik entpuppte. Und sich als ziemlich ergiebig erwies für meine eigene Entwicklung, für meinen eigenen Umgang mit Macht. Das Problem, mit dem ich mich immer wieder konfrontiert sehe, ist die negative Bedeutung von Macht, bzw. die völlige Überhöhung von Macht. Ich kann mich davon nicht freisprechen. Ich bin eine Macherin. Macht kommt von machen. Trotzdem fällt es mir schwer, mich als mächtige Frau zu begreifen. Als kompetent ja, vielleicht sogar als einflussreich. Aber als mächtig? Mächtig sind doch immer die anderen, die da oben.
Die meisten Leute kennen die Definition von Weber (1921): „Macht bedeutet jede Chance innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht.“ Gruselig. Da kriege ich sofort Hörnchen. Macht bedeutet demnach (so kommt es bei mir an) andere zu überrennen, übertölpeln, zu dominieren, anderer Leute Meinungen und Rechte auszuhebeln um des eigenen Vorteiles Willen. So eine Macht will ich nicht. Punkt. Ich will Gleichberechtigung, gleiche Chancen und Möglichkeiten, Raum für Ausloten und Ausbalancieren unterschiedlicher Wünsche, Bedürfnisse, Ansprüche. Dafür setze ich meine Macht ein. Hier setzt nämlich mikropolitisches Handeln ein und an. Mikropolitik bedeutet, ich nutze die Ermessensspielräume, die Handlungsspielräume, die ich habe, um Dinge zu erreichen die mir wichtig sind. Dass mein Kind auf meinen Wunsch/Befehl hin eine Regenjacke anzieht auf dem Weg zur Schule und dann entscheidet es will lieber diese oder jene Jacke oder gar den Regenschirm, ist eben genauso/mikropolitisches Handeln (und Machtausübung), wie die Diskussion um das Abstimmungsverhalten bei der Ehe für alle oder das Gerangel um den Abstimmungszeitpunkt oder die Möglichkeit überhaupt zur Abstimmung. Also: mikropolitisches Handeln findet immer da statt, wo es unterschiedliche Meinungen und Ansichten gibt, und eine Entscheidung getroffen werden muss. Und sei es nur die Entscheidung, vorerst keine Entscheidung zu treffen.
Jeder und jede hat eine Einflussmöglichkeit größer Null. Und sei es nur, dass ich mich verweigere, Veränderungen herauszögere, blockiere. In einem demokratischen Gemeinwesen, wie in Deutschland sogar deutlich größer Null. Wie ich meinen Einfluss nutze, ob positiv für etwas, oder negativ gegen etwas, das entscheide ich selbst. Und auch welche Taktiken ich für meine Einflussmöglichkeit nutze, liegt an mir. Ich kann schmeicheln, kann manipulieren, ich kann drohen (bis hin zu erpressen), ich kann bestechen oder auch nur positive finanzielle Anreize schaffen, ich kann Allianzen bilden, mich einer Gruppe anschließen. Alles möglich, und vieles sehr legitim. Aber eben nicht alles.
Insgesamt gibt es neun verschiedene Grundtypen mikropolitischer Einflusstaktiken. Männlein und Weiblein unterscheiden sich da mal wieder statistisch in ihren bevorzugten Methoden. Männer setzen am häufigsten offenen Druck und Einschüchtern/Ausspielen von Autorität ein, kein Wunder, dass Macht also so einen schlechten Ruf hat. Frauen sind nur marginal besser: Sie suchen sich Peer Kontakte, offener Druck liegt bei ihnen „nur“ auf Platz 2. Am erfolgreichsten sind übrigens die Taktiken Rationale Überzeugung, Inspirierende Appelle und Konsultation/Partizipation.
Insofern habe ich bei dem Seminar keine großen Erwartungen an eine steile Lernkurve gehabt. Doch dann war es so informativ und umfassend, dass ich beide Abende ziemlich platt war. Am Beispiel Organisation Hochschule und Position/Rolle Gleichstellungsbeauftragte sieht das weite Feld der Mikropolitik auf einmal sehr sehr komplex aus. Sorgfältig mit der mir zugegebenen Macht umgehen, meine eigene Macht ethisch korrekt einsetzen, vor Verantwortung und Entscheidungen nicht zurück schrecken, Allianzen, mikropolitische Beziehungen über verschiedene Ebenen aufzubauen, aufrecht zu erhalten, meine gleichstellungspolitischen Ziele verfolgen, die zugehörigen Entscheidungsfreiräume erkennen, Praktiken der Inszenierung von Macht erkennen und verstehen. Mein Fazit: Mikropolitik ist kleinteilig und vielfältig. Aber eines ist sicher: Wenn ich nicht positiv Mikropolitik einsetze, wenn ich die Macht, die ich habe, nicht einsetze für die Dinge, die mir wichtig sind, dann frisst die Mikropolitik der anderen mich meine Schutzbefohlenen, meine Ziele. Und dann ist auf einmal nicht mehr die Frage, ob mikropolitischen Handeln unethisch ist, sondern es wird ganz klar. Nicht mikropolitisch zu Handeln ist unethisch.

1 Kommentar:

  1. “Gute“ Macht ist für mich solche, die Menschen zu sinnvollen Zielen einsetzen, ohne dabei ihre eigene Person zu überhöhen. Die wesentliche Frage ist nun, was “sinnvoll“ ist.
    “Böse“ Macht benutzen nach meinen Erfahrungen Menschen, die sich über andere stellen wollen. Religiös installierte Macht gehört wohl fast immer dazu. Jesus wußte schon, warum er die Macht ablehnt.

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