Sonntag, 24. März 2019

Besonderes und schräges

Wie auf jeder Reise fällt mir Besonderes, Schräges und Ungereimtes auf. Und manches hat gar nicht mit der Reise zu tun, beschäftigt mich aber trotzdem.

Frisch geschult im Dritten Geschlecht fällt mir die estnische Lösung besonders auf: es gibt vorwiegend Unisex-Toiletten. Doch die Symbolgebung ist gewöhnungsbedürftig: Frauen tragen einen Rock, von daher haben sie das aufgerichtete Dreieck. Das weibliche Schoßdreieck als nach unten gerichtetes Dreieck wäre mir persönlich logischer als Frauenzeichen. Das Symbol leitet sich also vom sozialen Geschlecht ab, nicht vom biologischen Geschlecht.



Die Esten werden uns als Meister*innen der Pünktlichkeit vorgestellt. Pünktlich heisst hier 10 Minuten zu früh. Insofern hängen überall Wanduhren, manche in ungewöhnlichem Design.

Mektory in Tallinn 

Swissotel in Tallinn

Die Russ*innen stellen mit 300.000 Personen auf 1,3 Millionen Einwohner*innen die größte Minderheit in Estland dar. Viele Beschriftungen sind dreisprachig: estnisch, englisch, russisch. In der Altstadt von Tallinn fällt es besonders auf, vermutlich gibt es einen hohen Anteil von russischen Tourist*innen.

Der russische Bär macht Werbung für ein Restaurant.
Manchmal sehe ich aber auch Relikte aus der Sowjetzeit, die mich daran erinnern, dass Estland mal zu Russland gehörte.

Der Sowjetstern krönt immer noch das Haus.
Auf dem Rückflug sitze ich neben einer der wenigen Kulturwissenschaftlerinnen der Delegation. Sie zieht eine Zeit aus der Tasche. Ich sehe das Titelbild, wundere mich, denn das ist meiner Meinung nach schon etwas älter, ein paar Wochen oder so. Nun - es ist zwei Jahre alt, von April 2017. Sie meint, sie kommt nicht zum Lesen. Die Schlagzeilen mit Erdogan klingen aktuell... Über die Schulter lese ich mit, der Artikel zu den archäologischen Totenritualen fasziniert mich. So vieles, was wir an Trauerhandlungen ausführen, ist im archäologischen Befund nur schwierig nachzuweisen, wie die Niederlegung von Blumen oder das Entzünden von Kerzen.


Im Artikel geht es vorwiegend um Schnittspuren an den Knochen, um die Behandlung des Leichnams nach dem Tod, um Exhumierung. Nichts, was mir im heutigen Europa noch relevant erscheint. Doch dann merke ich auf: im heutigen Griechenland soll die älteste Tochter die Pflicht haben, die exhumierten Knochen zu reinigen, in Wein zu baden. Puhah. Ich bin die älteste Tochter. Zum Glück keine orthodoxe Griechin. Denn es ist wirklich so: Totenrituale in Teilen von Griechenland schreiben vor, dass 5-7 Jahren nach dem Tod von jemand so gehandelt wird. Da habe ich es mit Sechs-Wochenamt und Jahresgedächtnis als katholische Deutsche doch einfacher.
Friedhöfe habe ich auf diesem Kurztrip gar nicht besucht. In diesem Land, Estland, vielleicht auch nochmal ein besonderes Erlebnis mit seinen sehr verschiedenen Religionen, wovon die nicht religiös gebundene Gruppe die größte ist.

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